© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Einer geht noch ...
Marcus Schmidt

Langsam wird die Luft wirklich dünn. Der Bundestag bekommt den mittlerweile fünften Untersuchungsausschuß in der laufenden Legislaturperiode. So viele wie seit bald dreißig Jahren nicht mehr. Noch vor der Sommerpause soll das neue Gremium, das der Abgasaffäre rund um den Autobauer VW auf den Grund gehen soll, nach dem Willen von Grünen und Linkspartei in die Spur gesetzt werden.

Derzeit gibt es bereits drei aktive Untersuchungsausschüsse: Der älteste beschäftigt sich seit März 2014 unter Vorsitz des CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg mit der Spionage des amerikanischen Geheimdienstes NSA in Deutschland (Stichwort: das abgehörte Handy der Bundeskanzlerin), der andere unter Leitung von Clemens Binninger (CDU) mit dem möglichen Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Seit Ende Februar versucht zudem ein Untersuchungsausschuß unter Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger (SPD), Licht in die sogenannten Cum/Ex-Geschäfte deutscher Banken zu bringen. Hinter dem ungewöhnlichen Titel verbergen sich unsaubere Aktiengeschäfte. Seine Arbeit bereits abgeschlossen hat dagegen das Gremium, das sich mit der Kinderpornoaffäre des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (SPD) beschäftigte. Edathy war übrigens in der vergangenen Legislaturperiode selbst Vorsitzender eines Ausschusses: des ersten NSU-Untersuchungsausschusses.

Jedes dieser Gremien ist für die betroffenen Parlamentarier, ihre Mitarbeiter, aber nicht zuletzt auch für die Bundestagsverwaltung mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden. Denn die normale Parlamentsarbeit läuft ja unbeeindruckt von den Untersuchungsausschüssen weiter. Für diese müssen nun zusätzlich Tausende Seiten Akten gelesen und Zeugen geladen werden. Ganz abgesehen von den in der Regel alle zwei Wochen meist öffentlich stattfindenden Sitzungen, die nicht selten bis in den Abend gehen – oder gar bis in die Nacht.

Vor diesem Hintergrund sieht Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) eine Grenze erreicht. Er warnt davor, es mit diesem Instrument zu übertreiben: „Die Anzahl von jetzt fünf parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in einer Legislaturperiode, von denen vier gleichzeitig tagen, ist zweifellos ungewöhnlich und sollte gewiß nicht zur Regel werden“, mahnte er auf Spiegel Online die Fraktionen zur Zurückhaltung. Daran rütteln will er jedoch auf keinen Fall: „Die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen ist aus gutem Grund ein parlamentarisches Minderheitenrecht und muß es auch bleiben“, sagt Lammert. 

Und er weiß natürlich, daß mit fünf Untersuchungsausschüssen in einer Wahlperiode der vom Bundestag aufgestellte Rekord noch lange nicht erreicht ist. In der ersten Legislaturperiode zwischen 1949 und 1953 kam das in Bonn tagende Parlament auf stolze neun Untersuchungsausschüsse. Etwas Luft nach oben dürften die Berliner Parlamentarier also noch haben.