© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Aufatmen in Berlin, Brüssel und Wien
Österreich: Dank der Briefwahlstimmen hat der Grüne Alexander Van der Bellen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer knapp überholt
Verena Inauen

Der 22. Mai 2016 bedeutete nicht nur für die Bevölkerung von Österreich einen historischen Tag, sondern für die gesamte europäische Politik. Richtungsweisend für zukünftige nationale und internationale Entscheidungen ist aber vor allem die politische Ausrichtung des Wahlsiegers Alexander Van der Bellen. Als ehemaliger Chef der oppositionellen Grünen steht er zwar für eine klare Ablehnung des Freihandelsabkommens TTIP, allerdings auch für eine bedingungslose Zuwanderung und „Vereinigte Staaten von Europa“ (JF 20/16). Bei Umfragen zum Wahlmotiv gaben über 60 Prozent der Befragten gegenüber dem ORF an, den einstigen SPÖ-Politiker und Wiener VWL-Professor aufgrund seines Auftretens im Ausland gewählt zu haben.

Die Hälfte der Wähler ist weiterhin unzufrieden

Spannender war eine Präsidentschaftswahl in der Zweiten Republik noch nie. Erst am Montag nachmittag verkündete das Innenministerium das vorläufige Endergebnis inklusive Briefwahlstimmen: 50,3 Prozent für Van der Bellen, 31.026 Stimmen mehr als FPÖ-Kandidat Norbert Hofer. Am Wahlsonntag, beim vorläufigen Endergebnis ohne Wahlkarten, lag Hofer noch bei 51,9 Prozent und hatte 144.006 Stimmen mehr als Van der Bellen. In Hochrechnungen lieferten sich beide ein haarscharfes Kopf-an-Kopf-Rennen. Am Sonntag abend versuchten diverse Medien noch bis Mitternacht das Ergebnis für den 72jährigen Professor aufzuwerten, als gelte es, auch nach dem Schließen der Wahllokale noch Unschlüssige von ihrem Wunschkandidaten zu überzeugen.

Das war um so skurriler, da erneut die Erfahrung bestätigt wurde, daß Grüne (und ÖVP-Anhänger) überproportional die Briefwahl nutzen, FPÖ-Unterstützer eher direkt zur Wahlurne gehen. In Wien siegte Van der Bellen sogar mit 63,3 Prozent und in Vorarlberg mit 58,6 Prozent. Im SPÖ/FPÖ-regierten Burgenland erzielte Hofer 61,4 Prozent und in Kärnten 58,1 Prozent. Die Hochspannung ist allerdings nicht zuletzt auch auf einen klugen SPÖ-Schachzug zurückzuführen. Mitten im Präsidentschaftswahlkampf tauschten die Roten ihren Kanzler und Parteichef durch eine junge, eloquente Führungsperson aus. Während Werner Faymann durch stoischen Stillstand viele Protestwähler an die FPÖ und damit an Hofer verlor, scheint mit dem ehemaligen Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), Christian Kern, ein Richtungswechsel einzukehren. Viele der zuvor abgedrifteten Wähler gaben einer sozialdemokratischen Grundausrichtung noch eine Chance und wählten Van der Bellen, was wohl wesentlich zu dem knappen Ergebnis führte.

Nach dem fulminanten Sieg für Norbert Hofer im ersten Wahlgang mobilisierten die europäischen Linken, Grünen, Liberalen und Christdemokraten ihre Stimmen gegen den freiheitlichen Kandidaten. Etliche „Wenn, dann“-Szenarien zu einem befürchteten Sieg des Freiheitlichen am 22. Mai prasselten aus dem Ausland auf die Alpenrepublik ein: „Hofer-Sieg würde Europas Charakter ändern“, so etwa der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD). „Wenn Norbert Hofer Bundespräsident wird, wäre es mit einiger Wahrscheinlichkeit der endgültige Übergang zum Orbanismus in Österreich“, titelte etwa auch der Wiener Standard. Ins gleiche Horn stieß die linksliberale, den US-Demokraten zugeneigte Internetzeitung Huffington Post: „Wir müssen davon ausgehen, daß Hofer eine Diktatur plant.“ Auch Angela Merkel drückte ihrem ausgesprochenen Favoriten Van der Bellen offiziell die Daumen und hoffte damit auf ein Fortsetzen ihres Asylkurses. Einen erstaunlich distanzierten Blick veröffentliche die New York Times, welche das Erstarken von konservativen Kandidaten wie Norbert Hofer, aber auch Marine Le Pen oder Viktor Orbán, auf ein Versagen der europäischen Migrations- und Finanzpolitik zurückführt und damit zu einem guten Teil nicht falsch liegen dürfte.

Achttägige Frist für Einsprüche

Nachdem eine knappe Mehrheit der Österreicher erstmals einen Grünen in die Hofburg wählte, sind die Wahlprozeduren allerdings nicht abgeschlossen. Erst am 1. Juni wird das Ergebnis amtlich und es beginnt eine achttägige Frist für Einsprüche zu laufen. Meldet einer der Kandidaten Zweifel an der Auszählung an, muß dies bereits 48 Stunden nach Veröffentlichung des Ergebnisses gemeldet werden. Knackpunkte könnten die 165.212 ungültigen Stimmen (3,6 Prozent) sein. Die Wiener Presse sieht die Briefwahlprozedur als möglichen Stein des Anstoßes: „So gestand ein burgenländischer Bürgermeister, daß bei einer Landtagswahl 2010 Wahlkarten von fremden Personen beantragt und ausgefüllt wurden“, schrieb das ÖVP-nahe Blatt. Bei Personen in Pflegeanstalten werde die Wahlkarte seit 2011 daher eingeschrieben und nicht mehr an Postbevollmächtigte ausgeliefert.

Im besten Fall wird Van der Bellen am 9. Juni dieses Jahres vom Bundeskanzler zum offiziellen Wahlsieger erklärt. Nach der Vereidigung am 9. Juli würde Österreich dann schließlich mit einem weit linksgerichteten Bundespräsidenten aufwachen. Ein Bundespräsident, der während seines Wahlkampfes mehrmals angekündigt hatte, eine demokratisch gewählte Regierung unter Führung eines FPÖ-Kanzlers nicht zu vereidigen.

Informationen und offizielle Ergebnisse zur österreichischen Bundespräsidentenwahl:

 bmi.gv.at/