© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Erdogans langer Arm in Deutschland
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion: Der Dachverband wehrt sich gegen Vorwürfe, von Ankara gesteuert zu sein, doch ausräumen kann er sie nicht
Ronald Berthold

Wie weit reicht der lange Arm Recep Tayyip Erdogans in die deutsche Politik und Gesellschaft hinein? Nachdem die Bundesregierung Mitte April auf Drängen des türkischen Präsidenten die deutsche Justiz zur Strafverfolgung im Fall Jan Böhmermann ermächtigt hatte, diskutiert die deutsche Öffentlichkeit darüber. Doch der Verfolgungseifer des Staatsoberhauptes bleibt dabei nur ein sichtbarer Teilaspekt. Weniger oberflächlich, dafür tiefgehend, sind die Strukturen, die die türkische Regierung hierzulande über Jahrzehnte aufgebaut hat und nun im Sinne ihres neuen Religionsverständnisses nutzt.

Längst hat sich die heute von Erdogans islamistischer Partei AKP dominierte türkische Führung wie ein Krake in Deutschland ausgebreitet. Flächendeckend unterhält und kontrolliert Ankara rund 1.000 Gemeinden in Deutschland. Dachverband dafür ist die nach deutschem Vereinsrecht gegründete Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (Ditib). Damals, 1984,  war die Türkei noch ein Staat, der den laizistischen Ideen Atatürks folgte.

Islamisierung der Gemeinden befürchtet 

Im Vorstand der Ditib sitzen Angestellte des türkischen Staates. Gelenkt wird sie aus Ankara. Denn die Ditib untersteht der Leitung und Kontrolle des Diyanet, des Amtes für religiöse Angelegenheiten, das direkt zur Behörde des türkischen Ministerpräsidenten gehört. Dieses Amt entsendet die Imame nach Deutschland, derzeit sind es 970. 

Meist bleiben sie nur vier bis fünf Jahre, bis die Türkei sie wieder abzieht und durch neue Geistliche austauscht. Sprachkenntnisse bleiben so meist mangelhaft. Gepredigt wird fast immer auf türkisch. Die Imame werden vom türkischen Staat bezahlt, sind praktisch Beamte und müssen letztlich den Anweisungen der türkischen Regierung Folge leisten.

„Wenn man einen Einfluß der Türkei über das Diyanet in die Ditib hinein befürchtet, so ist diese Annahme und Befürchtung korrekt“, sagt die Islamwissenschaftlerin Aysun Yasar, die über die Ditib promoviert und die Verflechtungen mit Diyanet untersucht hat. Warum? „Weil die Amtsträger des Diyanet wichtige Funktionen innerhalb der Ditib, des Ditib-Dachverbandes, der Landesverbände und sogar der Ditib-Gemeinden innehaben.“

Galt die Ditib bis vor einigen Jahren noch als ein geschätzter Partner deutscher Behörden, weil sie gemäßigter als andere Islamverbände daherkam, so hat sich die Lage inzwischen drastisch geändert. Die SPD-Politikerin Lale Akgün stellte bereits 2009 fest: „Seitdem die AKP regiert, gibt es zudem eine engere Zusammenarbeit mit der Milli Görüs.“ Diese islamische Bewegung hält der Verfassungsschutz für „antidemokratisch“. Sie lehne westliche Demokratien ab.

Erdogan verschärft bei seinem Versuch, die Türkei in einen fundamentalistischen Staat zu verwandeln, auch die Religionspolitik deutlich. Diese reicht bis in die von Ankara kontrollierten Gemeinden. Erst Ende April forderte Parlamentspräsident Ismail Kahraman eine islamische Verfassung für die Türkei: „Wir sind ein muslimisches Land. Als Konsequenz müssen wir eine religiöse Verfassung haben“, sagte der Erdogan-Vertraute. Es ist davon auszugehen, daß dieser Vorstoß vom Präsidenten selbst initiiert, zumindest aber mit ihm abgesprochen war.

So wie der türkische Präsident jede kritische Äußerung im In- und Ausland verfolgen läßt, so hat er auch eine klare Vorstellung davon, was für eine Glaubenspolitik seine religiösen Gesandten in Deutschland zu betreiben haben. Da braucht es nicht einmal einen langen Arm, sondern eher eine kurze Leine. 

Wie das funktioniert, erklärt Aysun Yasar: „Es ist eine Hierarchie.“ An der Basis stünden die Ditib-Imame, „die an die Religionsattachés gebunden sind“. Diese seien wiederum an den Botschaftsrat gebunden. Und der Botschaftsrat sei an den Präsidenten der Diyanet gebunden. Laut Arbeitsvertrag, so die Forscherin, unterstehen die Imame ihren Vorgesetzten. Die Diyanet könne sagen: „Ihr seid unsere Angestellten, und wir wollen nicht, daß ihr in dieser oder jener Sache so entscheidet.“ Dieser Einfluß sei in Deutschland rechtlich erlaubt. Wolle man das verändern, müßten Gesetze angepaßt werden.

Auch wenn die Ditib sich nach außen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands bekennt, wachsen zunehmend Zweifel, wie wörtlich dieser Satz zu nehmen ist. Im hessischen Melsungen verbreitete die Gemeinde auf ihrer Homepage eine Sammlung antisemitischer Zitate aus dem Koran und den Hadithen, einer Art muslimischer Mohammed-Biographie: „Die Juden predigen Gutes, aber hören nicht auf, Böses zu tun“, „Die Juden sind gemein“, „Juden haben ihre eigenen Propheten umgebracht“, „Juden sind geizig“ und „Juden sind schwache Kämpfer“. Erst nachdem die Seite übersetzt wurde und es Proteste hagelte, nahm die Ditib sie vom Netz.

Auflagen der Behörden werden gern mal übersehen  

Ähnlich liegt der Fall bei der Islam-Fibel „Erlaubtes und Verwehrtes“, die die Ditib unter die Gläubigen brachte. Sie erklärt das Schlagen von Ehegattinnen für angemessen und will Frauen das Reisen ohne männliche Begleitung verbieten. Auch hier brauchte es einen Sturm der Entrüstung, bis die Organisation die Schrift zurückzog.

In Dinslaken posierten vor einem Dreivierteljahr ein Ditib-Vorstandsmitglied und ein Freund in den Gemeinderäumen mit dem Salafisten-Gruß, dem erhobenen Zeigefinger, der sagt: Ein Gott, ein Staat. Ob der hier geforderte Gottesstaat tatsächlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist? Dazu trug einer der beiden ein T-Shirt, dessen aufgedruckte Symbole den Fahnen des Islamischen Staates (IS) und von Al-Qaida ähnelten. Dazu der Satz: „Es gibt keinen Gott außer Allah.“ Das Vorstandsmitglied war ausgerechnet für die Jugendarbeit zuständig. Dinslaken gilt inzwischen als Islamisten-Hochburg. Rund 25 junge Männer zogen von dort in den Dschihad des IS nach Syrien. Mindestens einer gehörte zur Ditib-Gemeinde. In Videos fordert er seine Freunde in Dinslaken auf, ihm in den heiligen Krieg zu folgen. 

Die Ditib-Mutter Diyanet schwimmt im Geld. Sie verfügt über einen Etat von 1,8 Milliarden Euro. Gleich zwölf Ministerien in der Türkei müssen mit weniger finanziellen Mitteln auskommen, darunter sogar das Außenministerium. Diesen Reichtum setzt das Amt für religiöse Angelegenheiten für die Expansion des türkischen Staatsislams ein. Vor allem in Deutschland baut sie Moscheen.

Beim Errichten der prunkvollen Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln scherte sie sich nicht um die von der kommunalen Behörde erteilten Auflagen. Als das Gotteshaus im Rohbau fertig war, staunten die Bezirkspolitiker nicht schlecht: Kuppel und Minarette ragten sehr viel höher in den Berliner Himmel als es die Baugenehmigung erlaubte – um bis zu 15 Meter, wie Baustadträtin Stefanie Vogelsang (CDU) sagte. Die Höhe der Minarette drücken auch den Machtanspruch einer Gemeinde aus. Erdogan selbst nannte sie zitierend „unsere Bajonette“.

Doch wer nun glaubte, die deutschen Behörden würden ihrerseits ihren Machtanspruch und damit deutsches Recht durchsetzen, dachte falsch. Ditib mußte die Türme der Sehitlik-Moschee nicht auf die genehmigte Größe zurückbauen. Der Bezirk sprach eine Strafe von 80.000 Euro aus, damit hatte es sich. Bei den in die Millionen gehenden Baukosten und dem Milliarden-Etat der Diyanet ein Posten, der aus der Portokasse bezahlt werden konnte. Ein fünfstelliger Euro-Betrag für überdimensionierte Minarette, die auf Dauer bleiben, sind ein Spottpreis für religiöse Missionare.

Nicht viel anders steht es um die Großmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Auch hier fühlen sich Kommunalpolitiker von der Ditib getäuscht. Allerdings haben diese sich in ihrer Naivität auch nur allzu gern täuschen lassen. Kölns seinerzeitiger Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) war „euphorisch“, wie er heute sagt. Doch das Gefühl „hat natürlich nachgelassen“.

Hamburg will Kooperation ausbauen 

Der 68jährige glaubte damals tatsächlich den Ditib-Zusagen, daß der Ruf des Muezzins nicht durch die Rheinmetropole schallen würde. Und daß seinem Wunsch nachgekommen werde, die Moschee würde zu einer Begegnungsstätte für Gläubige aller Religionen. Auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau sollte, so stellte Schramma sich das vor, in der Zentralmoschee gelebt werden. Die Imame sollten auf deutsch predigen. Niemand habe ihm widersprochen. Über den Moscheebeirat wollte er sein Lebenswerk im Auge behalten.

Doch dieser ist praktisch entmachtet, Schramma werde immer wieder vor vollendete Tatsachen gestellt, klagt er. Zwar ist das Prestigeobjekt noch nicht fertig, aber gepredigt wird bereits im Keller – in türkischer Sprache. Schramma ist ernüchtert: „Es wird mehr und mehr erkennbar, daß Erdogan und die AKP über Diyanet Einfluß auf Ditib nehmen. Sicherlich gibt es Eingriffe in die Arbeit hier in Köln.“ Als Kritiker damals genau das vorhersagten und Schrammas Träume von der liberalen und herrlichen Islamwelt ins Reich der Phantasie verwiesen, schloß der OB sie aus dem angeblich demokratischen Diskurs aus und diffamierte sie als „islamophob“ und „rechtsradikal“.

Die Ditib widerspricht ihrem einstigen größten Unterstützer und behauptet, ihre Entscheidungen selbst zu treffen: „In Köln, nicht in Ankara.“ Doch wie glaubwürdig ist das, wenn der Ditib-Vorsitzende gleichzeitig auch türkischer Botschaftsrat für religiöse und soziale Angelegenheiten ist? Die Ditib ist mit ihrer Verankerung in Ankara und dortigen 120.000 Mitarbeitern eine äußerst schlagkräftige Organisation, der deutsche Kommunalpolitiker kaum etwas entgegenzusetzen haben. Das zeigen die Beispiele Neukölln und Köln.

Nicht ausgeschlossen, daß es auch in Hamburg ein böses Erwachen geben wird. Der dortige Senat hat als erstes Bundesland einen Staatsvertrag mit der Ditib – vergleichbar denen mit den christlichen Kirchen – vereinbart. Einer der Kernpunkte: Förderung des Islamunterrichts. Wo die Ditib die Lehrer rekrutiert, ist kein Geheimnis.





Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. 

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) wurde am 5. Juli 1984 in Köln nach bürgerlichem Recht zur Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der in ihr organisierten Vereine als bundesweiter Dachverband gegründet. Im Gründungsjahr waren dies 230 Vereine, mittlerweile sind es über 900. Ditib ist die mitgliederstärkste Migrantenorganisation in Deutschland. Der Verband verweist auf Umfragen, wonach die Ditib über 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime vertritt.

Im Fokus der Arbeit steht nicht nur die religiöse Unterweisung, sondern auch der Moscheebau. Neben der Zentralmoschee in Köln entstehen unter anderem in Aachen die Yunus-Emre-Moschee und in Essen die Merkez-Moschee. Immer wieder verweist Ditib darauf, daß die regionalen Gliederungen den Bau ihrer Gemeindezentren vollständig aus eigenen Einnahmen und Spenden finanzierten. Sie erhielten keine öffentlichen Mittel, weder aus Deutschland noch aus der Türkei, und seien daher auf Spenden angewiesen.