© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Kardinal Lehmann will nicht mit der AfD sprechen, aber mit den Vertretern des Islam schon. Man könnte zur Tagesordnung übergehen, denn solche Äußerungen von Kirchenvertretern sind erwartbar. Trotzdem sei der Hinweis erlaubt, daß es etwas Bizarres hat, wenn man Menschen ausgrenzt, diskriminiert und unter Generalverdacht stellt, mit denen man denselben kulturellen Hintergrund teilt, weshalb Verständigung jederzeit möglich wäre, während man andere hofiert, mit denen man diese Voraussetzung nicht teilt, weshalb Verständigung nur unter günstigen Bedingungen möglich ist. Um Vorurteile geht es bei Lehmann in jedem Fall: um negative in bezug auf die AfD, um positive in bezug auf den Islam.

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AH I: Wenn der Historiker Thomas Weber jetzt ein Buch darüber veröffentlicht, wie Hitler „zum Nazi wurde“, dürfte das für die breitere Öffentlichkeit tatsächlich einen gewissen Sensationswert haben. Denn in den Köpfen ist bis heute die von Hitler selbst wie von der Mehrzahl seiner Biographen gepflegte Vorstellung fest verankert, daß er sich seine Ideologie, wenn nicht schon als Jugendlicher, dann doch spätestens in seinen Wiener oder Münchner Jahren erarbeitet hatte. Aufgrund der wichtigen Arbeiten von Anton Joachimsthaler und Brigitte Hamann ist allerdings längst geklärt, daß Hitlers „Erweckung“ nicht einmal bei Kriegsende, sondern erst in den turbulenten Monaten zwischen Waffenstillstand und Unterzeichnung des Versailler Vertrags stattfand. Weber kommt in dem Zusammenhang auch auf Hitlers anfängliche Sympathie für die Linke. Ein Sachverhalt, den man genauso ernstnehmen sollte wie die Frustrationen, die seine liberal-großdeutsche Prägung in der multikulturellen Habsburger Monarchie erlebte.

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Der französische Journalist Jean Quatremer hat in einer von Arte ausgestrahlten Fernsehsendung darauf hingewiesen, daß die Medien seines Landes bei sexuellen Übergriffen grundsätzlich nur christlich-europäische Vornamen nennen, auch dann wenn die Täter – wie in einer Vielzahl der Fälle – andere tragen. Selbstverständlich geschieht das nur, um dem „Populismus“ keine Nahrung zu bieten.

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AH II: Die Ausbrüche des britischen Konservativen Boris Johnson gegen die EU als Versuch, Hitlers Europa-Vorstellung mit anderen Mitteln zu realisieren, haben natürlich keinen sachlichen Gehalt. Aber man wird in historischer Perspektive doch sagen können, daß es abgesehen vom napoleonischen Anlauf nur drei Versuche gegeben hat, einen europäischen „Superstaat“ zu schaffen: den Plan Schwarzenbergs für ein „Reich der Siebzig Millionen“, bestehend aus Großösterreich und allen Gebieten des Deutschen Bundes, das zum natürlichen Zentrum des Kontinents geworden wäre, das Mitteleuropa-Konzept der deutschen Führung während des Ersten Weltkriegs und dann eben Hitlers Vision eines „Neuen Europas“, organisiert durch einen „Germanischen Block“.

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Die Hetze gegen die Identitären erinnert an die gegen die „Neue Demokratische Rechte“ der 1990er Jahre. Auch da ging es um „Nazis“, die keine sein wollten, weder Hakenkreuze schmierten noch Hitler verehrten. Als ihm gar keine Rechtfertigung fürs Warnen und Mahnen mehr einfiel, kam ein führender Sozialdemokrat damals auf den Vorwurf, Rainer Zitelmann und Konsorten sprächen von der „Berliner Republik“ und damit entlarve sich ihre Verfassungsfeindlichkeit.

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Die Absage des Konzerts von „Black M“ aus Anlaß der Einhundertjahrfeier der Schlacht bei Verdun durch den sozialistischen Bürgermeister der Stadt hat das erwartbare Echo gefunden. Von Zensur eines farbigen Künstlers ist die Rede, auch vom ersten Schritt in Richtung Faschismus. Nun ja, läßt der eine oder andere verlauten, er habe Frankreich beschimpft, aber das sei doch irgendwie verständlich, angesichts des allgegenwärtigen Rassismus und der fehlenden Anerkennung von Männern wie seinen Ahn, der als Kolonialsoldat kämpfte. Der für die Veteranen zuständige Staatssekretär jedenfalls fühlt sich bemüßigt, darauf hinzuweisen, daß die Soldaten von 1916 solche „aller Rassen, aller Hautfarben, aller Religionen“ waren und ihr Leben schließlich für die Meinungsfreiheit ließen. Ganz unwidersprochen bleiben solche Feststellungen bei unserem Nachbarn aber nicht. Da gibt es den Hinweis, daß die Kämpfer von Verdun wohl in erster Linie für ihr Vaterland eintraten, daß sie in der überwältigenden Mehrheit aus diesem Vaterland stammten und daß es auch heute noch genügend Franzosen gibt, die es inakzeptabel finden, wenn man dieses Vaterland als eines bezeichnet, das von „Ungläubigen“ und Pädophilen bevölkert wird, denen Black M das Geschlechtsteil abschneiden möchte. Nur nebenbei: Diese kritischen Stimmen haben auch wenig Verständnis dafür, daß ein staatlicher Zuschuß von 70.000 Euro für das Konzert vorgesehen wurde.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 10. Juni in der JF-Ausgabe 24/16.