© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Konrad Ott. Der Grüne wagt die linke Hypermoral in der Flüchtlingsfrage zu kritisieren
Der Mutige
Felix Dirsch

Die Auswirkungen der Zuwanderung auf das Rentensystem muß sehr viel genauer vorausbedacht und ökonomisch modelliert werden, da etwa unklar ist, wie viele Beitragsjahre Zuwanderer in das Rentensystem durchschnittlich einzahlen werden. Intuitive Vorstellungen – nach denen die jungen Zuwanderer für die alten Deutschen zahlen werden – könnten sich als Milchmädchenrechnungen erweisen. Massive Zuwanderung in kurzer Zeit schafft alles in allem vermutlich mehr ökonomische Probleme als sie löst.“ Wer solche Sätze schreibt und überdies aus dem Grünen-Milieu stammt, muß sich warm anziehen. 

Das gilt auch für einen so profilierten Vertreter in diversen Ethikdebatten wie Konrad Ott – ehemaliger Sachverständiger der Bundesregierung für Umweltfragen, Professor für Philosophie an der Universität Kiel und Mitglied der Grünen. Der im Umfeld von Jürgen Habermas sozialisierte Philosoph, geboren 1959 in Bergkamen bei Dortmund, ist das Wagnis eingegangen, die bequemen, aber ausgetretenen Pfade der Diskursethik zu verlassen und sich heißeren Eisen zuzuwenden. In letzter Zeit treibt ihn vor allem der Entwurf einer Moralphilosophie des Flüchtlingswesens um.

Leitfaden Otts in dem kürzlich erschienenen Reclam-Bändchen „Zuwanderung und Moral“ ist die an Max Weber angelehnte idealtypische Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Danach verteidigt der Gesinnungsethiker seine Überzeugungen, ohne auf die praktische Einlösung zu achten. Der Verantwortungsethiker hingegen behält die Folgen seines Handelns im Blick.

Was diese Unterscheidung in der umkämpften Flüchtlings-Thematik konkret heißt, liegt für Ott auf der Hand. Würde die Migrationspolitik vollständig von den bei den Grünen beliebten hypermoralistisch ausgerichteten Prinzipien angeleitet, wäre das Ergebnis eine Überforderung, denn „selbst bei Verdopplung der Wohnbevölkerung Deutschlands auf 160 Millionen Einwohner gäbe es noch viele Menschen, deren Glück wir beförderten, wenn wir sie zuwandern ließen“, trübt Ott das grüne Einwanderungs-Wunschbild.

Dabei läßt der Vater von vier Kindern seine Motivation durchblicken: Weitere Masseneinwanderung könne erreichte emanzipatorische Gesellschaftsveränderungen verspielen und auch seine eigenen Postwachstums-Konzeptionen sowie die Suche nach ökologischer Nachhaltigkeit konterkarieren.

Freilich wagt der Mutige nicht genug. Denn der Schutz der Identität des deutschen Volkes ist nicht nur eine juristische, sondern auch eine ethische Frage. Immerhin spricht Ott sich fast schon schmittianisch gegen Entpolitisierung und für Parteienstreit in der Thematik aus. Indirekt ist also Hoffnung auf eine verantwortungsethische Lösung, sprich klare Regulierung, zu erkennen. Konrad Otts Vorschläge gehen in die richtige Richtung.