© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

„Ob das eine freie Gesellschaft weiterbringt?“
Katholikentag: Obwohl – oder gerade weil – die AfD als Gast unerwünscht war, wurde auf dem Leipziger Laientreffen ungewöhnlich viel über die Partei debattiert
Gernot Facius

Papst Franziskus war per Videoschaltung präsent. Bundespräsident Joachim Gauck redete im pastoralen Ton wider die „Sehnsucht, das Paradies unmittelbar in die Politik umsetzen zu können“ und riet dem Publikum, sich nicht von Ängsten treiben zu lassen. Bischöfe und Parteipolitiker unterschiedlicher Couleur beschworen den Geist des gesellschaftlichen Miteinanders. Nahezu alle aktuellen Themenfelder wurden abgegrast: Zuwanderung, Flüchtlingshilfe, Freihandelsabkommen mit den USA, Diakonat der Frau. 

Doch zwischen den mehr als tausend Veranstaltungen des 100. Deutschen Katholikentages in Leipzig, Diskussionen, Workshops und Gottesdiensten, stand, wie der Tagesspiegel notierte, der „Rechtspopulismus wie ein Elefant“. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde der kategorische Ausschluß der AfD von den Podien zur eigentlichen Botschaft von der Pleiße. Die Dialogverweigerung werde die Organisatoren mindestens noch bis zum nächsten Katholikentag 2018 im westfälischen Münster beschäftigen, prophezeite die Frankfurter Allgemeine. Und AfD-Vize Alexander Gauland triumphierte angesichts der Debatte um seine Partei: „Wir waren doch präsent, obwohl wir gar nicht präsent waren.“ 

Es hatte, wie zu hören war, durchaus Warnungen vor einer „Ausschließeritis“ gegeben, von Bischöfen und Laien. Durchgesetzt hat sich aber das einladende Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) unter seinem Präsidenten Thomas Sternberg (CDU), der damit einer Empfehlung seines Vorgängers Alois Glück (CSU) folgte: Schaukämpfe und mögliche schrille Diskussionen seien nichts für einen Katholikentag. Außerdem könnten sich die katholischen Flüchtlingshelfer von AfD-Parolen „düpiert fühlen“. Unbehagen über das ZdK-Vorgehen konnte selbst der Chefredakteur der kirchenoffiziösen Katholischen Nachrichten-Agentur, Ludwig Ring-Eifel, nicht verhehlen, zumal Vertretern der Linkspartei in Leipzig ein Forum geboten wurde: „Ob da mit zweierlei Maßstäben gemessen wird?“ Die großen Christentreffen in der Vergangenheit seien „gesellschaftliche Labore“ gewesen, im herrschaftsfreien Dialog hätten neue Themen und Positionen diskutiert werden können – „übrigens solche, die radikal systemkritisch und alles andere als staatstragend waren“. Nun aber blieben die Menschen mit der korrekten Gesinnung lieber unter sich: „Ob das eine freie Gesellschaft weiterbringt?“

Zunächst einmal hat der Umgang der ZdK-Spitze mit der AfD eine sachliche Debatte über die kirchliche Haltung in der Flüchtlingsfrage verhindert. So bezeichnete der nordrhein-westfälische AfD-Landessprecher Martin Renner, ein Katholik, die Kirche als „Asylindustrieverband“, der das Gespräch wegen der Angst vor „Geschäftsschädigung“ ablehne. Ein Sprecher der Bischofskonferenz bezeichnete dies als „Gequatsche“. Der Graben zwischen Kirche und AfD ist durch gegenseitige Polemik breiter und tiefer geworden. 

Dabei hat der Katholikentag durchaus seine Probleme. Vorbei sind die Zeiten, in denen Spitzenpolitiker spielend die großen Hallen füllten. Zum Podium „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ mit dem Bundespräsidenten hatte sich nur eine überschaubare Zahl der insgesamt 40.000 Besucher des fünftägigen Christentreffens (Erkennungszeichen: ein grüner Schal) unter dem Motto „Seht, da ist der Mensch“ eingefunden. Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann zeigte sich besorgt mit Blick auf die teils halbleeren Hallen bei Auftritten von Politprominenz, etwa der Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) und Andrea Nahles (SPD). „Man wird das sorgfältig untersuchen müssen“, meinte der frühere Vorsitzende der Bischofskonferenz. Als mögliche Ursachen nannte Lehmann nicht nur die „übliche Verdrossenheit“, sondern auch „ein Stück weit Hoffnungslosigkeit“. Manche Menschen zögen sich von aktuellen Themen wohl zurück. 

Dennoch möchte die Kirche an regelmäßigen Katholikentagen festhalten. „Wir wollen auf dieses Instrument nicht verzichten“, versprach der derzeitige Vorsitzende des Episkopats, Kardinal Reinhard Marx. Auch die Pläne für einen 3. Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt am Main sollen weiterverfolgt werden.

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