© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Begehrliche Blicke auf Asien
USA: Washington setzt darauf, daß Pekings militantes Auftreten, die kleineren Nachbarstaaten in seine Arme treibt
Elliot Neaman

Der Begriff „Dreh- und Angelpunkt nach Asien“ wurde zu einem Schlagwort, nachdem ihn die damalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton 2011 dreimal in einem Artikel des außenpolitischen Nachrichtenmagazins Foreign Policy verwendete. Schon das Faktum an sich, daß sie diese Aussage in einem Journal veröffentlichte, das einen ziemlich harten politischen Kurs vertritt, ist von Bedeutung. 

In einem kürzlich erschienenen Buch über Obamas Außenpolitik nach 9/11 schildert der Reporter der New York Times, Charles Savage, Hillary Clintons politischen Standpunkt in Vorstellungen  des Kalten Krieges mehr verankert als den ihres Vorgesetzten. Sie gebrauchte darin den Begriff „Dreh- und Angelpunkt“, um zu beschreiben, wie sich nach den Belastungen der Kriege im Mittleren Osten und der „Entstehung neuer Realitäten“ der Fokus der amerikanischen Außenpolitik nach Asien verlagern – oder „erneut ins Gleichgewicht bringen“ – müßte. 

US-Strategie mit Zuckerbrot und Peitsche 

Gegen Ende des Artikels, der den asiatischen Dreh- und Angelpunkt sehr optimistisch für eine jede Nation in der Region als eine einmalige Gelegenheit darstellte, um von einer Ausweitung des Handels und der Kooperation mit den Vereinigten Staaten zu profitieren, sprach Clinton die naheliegende Frage an: Wie wird wohl China auf den Dreh- und Angelpunkt reagieren? Sie rief zu einer Politik nach dem „Zuckerbrot und Peitsche“-Prinzip auf, um die Zukunft der Beziehungen zwischen den USA und China zu beschreiben: „Wir wissen alle, daß auf beiden Seiten des Pazifiks Ängste und Mißverständnisse noch immer spürbar sind. Manche Menschen in unserem Land sehen im Fortschritt Chinas eine Bedrohung der Vereinigten Staaten, manche in China wiederum befürchten, daß Amerika danach trachtet, Chinas Wachstum zu beschränken. Beide Ansichten weisen wir zurück.“ 

Tatsache sei, so Clinton, daß ein „florierendes Amerika gut für China ist und ein florierendes China gut für Amerika. Wir beide haben sehr viel mehr durch eine Zusammenarbeit zu gewinnen als durch einen Konflikt.“ Dennoch könne eine Beziehung nicht allein auf Sehnsüchten aufbauen. Beide Seiten seien gefordert, positive Worte konsequenter in eine effektive Kooperation umzusetzen, und – was von entscheidender Bedeutung sei – ihre jeweiligen globalen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen zu erfüllen. Anders ausgedrückt, Clinton sprach gegenüber Peking eine versteckte Warnung aus: Erfüllt eure „globalen Verantwortlichkeiten“, anderenfalls...

Tatsächlich ist der Dreh- und Angelpunkt nach Asien umgesetzt worden – insbesondere durch die Verstärkung der US-Flotte. Doch auch durch diplomatische und wirtschaftliche Initiativen wie die Transpazifische Partnerschaft, die die Volkswirtschaften der kleineren Nachbarn Chinas unterstützen soll – und damit ebenso eine indirekte militärische Komponente darstellt. 

Obamas jüngste Reise nach Vietnam sowie die Entscheidung, ein jahrzehntealtes Embargo über Waffenverkäufe an das vietnamesische Militär aufzuheben, unterstreicht diese Tendenz. Diese Initiativen sind auf zwei gegensätzliche Weisen interpretiert worden: entweder als Beweis für Chinas erfolgreiche Herrschaft über die Region, besonders im Südchinesischen Meer, oder aber als Zeichen der amerikanischen Entschlossenheit, sich selbst als Vormacht in der Region erneut zu etablieren. 

Obamas letzte Reisen nach Vietnam und Japan sind in der amerikanischen und der Auslandspresse als historische Versuche einer Aussöhnung dargestellt worden, damit die USA für die in den früheren Kriegen abgeworfenen Napalm- und Atombomben Wiedergutmachung leisten könne. Kritiker der Linken haben der Obama-Administration vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen in Vietnam zu übergehen, und Kritiker der Rechten sind unzufrieden damit, daß sich Obama für frühere Kriege entschuldigt hat. 

Auch nach Obama wird sich Chinapolitik wenig ändern

Doch beide Seiten übersehen einen wichtigen Punkt: daß es bei diesen diplomatischen Bemühungen nicht in erster Linie um bilaterale Beziehungen geht. Stattdessen geht es dabei um den grundlegenden Gesinnungswandel der Nachbarn Chinas, die sich aus Angst vor einem chinesischen Angriff den Vereinigten Staaten annähern. Der von den Philippinen und den Vereinigten Staaten von Amerika unterzeichnete Verteidigungspakt von 2014 sowie weitere Abkommen zwischen Washington und mehreren südostasiatischen Staaten sind Beispiele dafür, wie sich kleine Staaten in Asien den USA anschließen.

Kein amerikanischer Präsident hat Hiroshima besucht, nachdem die Stadt am 6. August 1945 vernichtend getroffen worden war. Barak Obama hat eindeutig vor, in den letzten Monaten seiner Amtszeit durch die Aufnahme von Beziehungen mit Kuba und Vietnam und nun mit einem historischen Besuch Japans einen Bruch mit der früheren Außenpolitik zu vollziehen. Obamas Außenpolitiks-Mannschaft sendet ebenso deutlich ein Signal an China, das den Staatsbesuch als Mittel betrachtet, die Japaner von ihrer brutalen Rolle im Zweiten Weltkrieg als imperialistische Expansionspolitiker freizusprechen. Chinas streng kommunistisches Parteiorgan People’s Daily hat den Besuch Obamas und Premierminister Abes „geheime Agenda“, die ehemals pazifistischen Japaner zu remilitarisieren, verurteilt. 

Obwohl auch Korea Tausende Bürger bei den Atomexplosionen verlor, die Hiroshima und Nagasaki dem Erdboden gleichgemacht hatten, sind auch die Koreaner mißtrauisch gegenüber Abes neonationalistischer Einstellung, da er für die während des Zweiten Weltkrieges an koreanischen „Trostfrauen“ begangenen Verbrechen nur eine halbherzige Entschuldigung anbot und Gesetze änderte, so daß japanische Kampfeinheiten an Auslandseinsätzen teilnehmen können. 

Während Obama zu Beginn seiner Präsidentschaft China zu umwerben schien, um die Handelsbeziehungen zu verbessern, ein Abkommen zur Klimakontrolle abzuschließen und Chinas militärische Zielsetzungen zu kontrollieren, weisen seine jüngsten Handlungen offenbar darauf hin, daß er dazu übergegangen ist, gegen die zunehmenden Ambitionen die japanische Karte zu spielen. 

Was kommt also nach Obama? Donald Trump kann zwar gegen chinesische Importe wettern und beklagen, daß die Japaner mehr für ihre eigene Verteidigung bezahlen sollten. Er kann vorschlagen, daß es ein kostengünstiger Weg zur Erreichung dieses Ziels sei, Japan ein Atomwaffenarsenal aufbauen zu lassen. Hillary Clinton kann redegewandt von den Vorteilen einer Kooperation zwischen den USA und China schwärmen, doch die Realität dürfte so aussehen, daß die althergebrachte Gleichgewichtspolitik die „Grand Strategy“ der Region bestimmen wird. 

Chinas militantes Auftreten in Worten und Taten, wie der Bau von Flugplätzen auf künstlichen Inseln im Süd- und Ostchinesischen Meer, destabilisieren die Region und treiben die kleineren asiatischen Staaten in die Arme der Vereinigten Staaten. Diese machtpolitische Dynamik ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt in Asien.