© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Die Produktion marktgerecht steuern
EU-Agrarmarkt: Agrarminister Schmidt verspricht Milchbauern Bürgschaften, Hilfszahlungen und Steuererleichterungen / „Bio-Milch“ oft kein Ausweg
Christian Dorn

Milch macht müde Männer munter!“ – doch wie lange noch? Das Motto des vor elf Jahren aufgegebenen Werbeklassikers dürfte deutschen Milchbauern inzwischen wie Hohn erscheinen. Der Bund der Deutschen Milchviehhalter (BDM), Vertreter der kleinen Familienbetriebe, will sich nicht mit dem Höfesterben abfinden: Hunderte leere Gummistiefel und Arbeitsschuhe als stiller Protest vor dem Brandenburger Tor sollten am Montag die Bundesregierung aufrütteln, nicht mehr tatenlos zuzusehen.

Vor 25 Jahren gab es noch 186.000 Milchviehhalter, vor zehn Jahren waren es 110.000 und im Mai 2015 existierten nur noch 74.800 – Tendenz fallend. Die Zahl der Kühe pro Hof verdoppelte sich hingegen auf 57 – der Durchschnitt sagt aber wenig aus: Währendem die größten Herden in Mecklenburg-Vorpommern (im Schnitt 227 Kühe) gehalten werden, sind es in Baden-Württemberg 40 und in Bayern nur 35 Kühe. Während der Milchviehbestand 2015 deutschlandweit um 0,6 Prozent auf 4,3 Millionen Tiere zurückging, wurden in Niedersachsen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen mehr Kühe gehalten. Großbauern oder die Nachfolger der DDR-Genossenschaften konnten den massiven Preisverfall – 2014 wurden 41 Cent pro Kilo Milch gezahlt, 2015 28 Cent – zunächst wegstecken. Doch bei unter 24 Cent können auch sie nicht mehr lange durchhalten.

Daher überrascht es nicht, daß nun auch deren einflußreicher Vertreter, der Deutsche Bauernverband (DBV), die BDM-Forderung aufgreift und verlangt, „die Produktionsmenge marktgerecht auszusteuern“. Denn obwohl der Viehbestand sinkt, geben die hochgezüchteten Kühe immer mehr Milch: Waren es vor 25 Jahren noch weniger als 5.000 Kilo pro Jahr, spitzten 2015 schon 7.620 aus dem Euter – dänische Turbo-Kühe kamen sogar auf 8.490 Kilo. Doch wohin mit der gestiegenen Milchmenge? EU, DBV und Politik priesen den Export – doch das russische Importverbot und der Nachfragerückgang in China drückten auf den Preis, den die EU-Milchbauern am Markt einfordern können.

Aktuell sind es in vielen Regionen nur noch 20 Cent, in einer westfälischen Molkerei sogar nur noch 15 Cent, seit Aldi den Liter Milch zu einem Kampfpreis von 46 Cent in die Regale stellte. 

Durch die Großmolkereien (Deutsches Milchkontor, Theo Müller, Arla Foods, Friesland Campina, Hochwald Foods) und die vier großen Handelsketten Aldi, Lidl, Rewe und Edeka, die mit einem Marktanteil von rund 85 Prozent faktisch eine Monopolstellung besitzen, sind insbesondere die kleinen Familienbetriebe in eine regelrechte Abhängigkeit geraten. Viele sehen sich nicht mehr als freie Bauern, sondern als Sklaven der Lebensmittelindustrie. Immer mehr müssen ihre Existenz aufgeben, manche hegen Selbstmordgedanken.

Endlose Äcker, Megaställe, zentralisierte Produktion?

Deshalb wird die Billigmilch auch als „Blutmilch“ gescholten (JF 38/15). Verantwortlich sind hierfür nicht zuletzt die Verbraucher, die zu drei Vierteln jeweils zum billigsten Angebot greifen oder aufgrund ihres Einkommens greifen müssen. Selbst die jeglicher Sozialromantik unverdächtige FAZ klagte kürzlich, daß es nicht mehr viele Milchpreiskrisen brauche, „dann gibt es kaum mehr einen Bauern“. Dann würden Konzerne und Kapitalgesellschaften säen, ernten, melken und mästen lassen, mit Agraringenieuren, die dann Strukturen und Landwirtschaften bewirtschafteten „wie früher der Sozialismus mit endlosen Äckern, Mega-Mastanlagen und zentralisierter Produktion anstelle Zehntausender Familienbetriebe“.

Dabei erhalten die Bauern durch ihre Existenz eine ganze Kulturlandschaft am Leben, denn schließlich sind die Familienbetriebe zugleich oft „die letzten ökonomischen, sozialen und auch politischen Stabilisatoren in strukturschwachen Gebieten.“ Wirklich angekommen scheint die Problematik beim Agarminister Christian Schmidt (CSU) allerdings nicht. Dabei ist seine Heimat, der Freistaat Bayern, mit 1,2 Millionen Milchkühen und fast der Hälfte der deutschen Milchbauernhöfe das mit Abstand größte Milchland – Niedersachsen hat lediglich 852.000 Milchkühe. Beim Milchgipfel am Montag waren lediglich der DBV sowie Molkereien und Handelsvertreter geladen dabei, nicht aber der BDM, der laut eigenen Angaben etwa 20.000 Milchviehhalter vertritt und vor allem in Bayern aktiv ist.

Auch die Länderagrarminister, von denen der Großteil den Grünen angehört, waren nicht dabei. Für deren agrarpolitischen Sprecher im Bundestag, Friedrich Ostendorff, ist dies „schlichtweg skandalös“, da sich Schmidt wieder nur mit den Lobbyisten der Agrarindustrie getroffen habe. Der konservative Deutsche Bauernbund (DBB) war ebenfalls nicht eingeladen. Als Berufsverband der familiengeführten Höfe in den neuen Bundesländern wäre es aber wichtig gewesen, gerade die Positionen der dortigen Milchviehhöfe gesondert zu erläutern, „weil gerade diese Betriebe in den letzten Jahren erheblich investiert haben und somit jetzt von der Situation auf dem Milchmarkt besonders betroffen sind“, erklärte DBB-Präsident Kurt-Henning Klamroth. Der DBB habe dem DBV „keine Legitimation erteilt, für alle Milchviehbetriebe zu sprechen“.

Schmidt hat nun ein Paket von 100 Millionen Euro Soforthilfe versprochen – in Form von Bürgschaften, Existenzsicherungshilfen, Steuerentlastungen und Freibeträgen zur Schuldentilgung. Zudem werde er Gespräche mit Finanzminister Wolfgang Schäuble und seinen Amtskollegen aus den Bundesländern führen, um weitere Finanzmittel zu mobilisieren. Langfristig müsse es weniger Milch für mehr Geld geben – doch ohne Rückkehr der abgeschafften EU-Milchquote (JF 14/15), darin ist Schmidt sich mit BDM-Chef Romuald Schaber einig.

Der nicht nur von Grünen beschworene Ausweg Bio- statt Rußland-Milch ist allerdings keine wirkliche Lösung. Zwar ist der Abnahmepreis von über 48 Cent stabil. Doch ohne entsprechend große Weideflächen ist eine Umstellung illusorisch. Ein entscheidendes Hindernis sind zudem die Kosten: Erst zwei Jahre nach der Umstellung darf der neue Bio-Bauer seine Milch als „Bio-Milch“ an die Molkerei verkaufen. Bis dahin ist es ein Zuschußgeschäft, für das etliche der existenzbedrohten Bauern einfach keine Kraft mehr haben.

Bundesverband Deutscher Milchviehhalter:  bdm-verband.org

Deutscher Bauernbund (DBB):  www.bauernbund.de