© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Die Schrecken weisen auf die Schönheit hin
Unterirdisch zwingender Zusammenhang: Das Prado-Nationalmuseum in Madrid zeigt das Werk des niederländischen Renaissance-Meisters Hieronymus Bosch anläßlich seines 500. Todestages
Sebastian Hennig

In der brabantischen Stadt ’s-Hertogenbosch starb vor fünfhundert Jahren das berühmteste Mitglied der einst aus Aachen zugewanderten Malerfamilie van Aken. Unter dem Namen seiner Heimatstadt ist er als Hieronymus Bosch zur Legende geworden. Die Spanier nennen ihn El Bosco. Wirklich erscheint uns heute vieles in diesen Bildern undurchdringlich wie das Unterholz eines dunklen Waldes. Scharen von Fabelwesen und Dämonen besiedeln wie die Hexenkreisen von Pilzen die gemalten Räume. Die Verwurzelung im verwesenden Boden und das Streben der Wipfel zum Licht nähren im Betrachter die ungewisse Ahnung einer verborgenen Ordnung. Mit Gewißheit spürt er, daß hier nichts bedeutungslos sein kann. Das absonderliche Gewimmel ist unterirdisch verbunden. Wie beim Myzel der eigentliche Pilz, so bleibt der Zusammenhang dieser Wesen verborgen. Was wir sehen, sind die Fruchtkörper, die eine günstige Witterung hat hervorschwellen lassen. 

Der Eindruck eines unbekannten Evangeliums

Eine kongeniale Deutung aus dem Geist seiner Zeit hat der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger unternommen. Im ersten Satz seines 1947 erschienenen Aufsatzes „Das Tausendjährige Reich“ schreibt er von der Symbolik der Bilder als einem erloschenen Orakel, „dessen Zeichensprache seine ursprüngliche Erleuchtungskraft verloren hat.“ Er empfiehlt, die Kunst Boschs nicht als dienende Illustration, sondern als selbstherrliche Imagination aufzufassen. Bis an sein Lebensende hat er weitere acht Einzelstudien zu Boschs Werken publiziert.

Es gibt wenige Arbeiten des Genres, die anregender sind als diese Aufsätze, deren Gesamtheit sich zu einem fesselnden Buch rundet. Der Autor vermutet eine häretischen Bewegung, deren Mentor der 1496 im Beisein des Landesherrn zum Christentum übergetretene Jude Jacob von Almaengien gewesen sein soll. Mit seiner gewaltigen Bildung, wenigen erstaunlichen Indizien und vor allem dem Instinkt für das Augenscheinliche der Malerei hat Fraenger einen Mythos des Malers geschaffen. 

Ein ungleich langweiligerer Mythos ist die Vereinnahmung Boschs als Stammvater des Surrealismus. Die Jubiläumsausstellung „Visionen eines Genies“ hat sich für diese gefällige Lesart entschieden. Ebenso banal wie reißerisch wird verkündet: „Jetzt wird des unvergleichlichen Malers stilvoll gedacht. (…) der in der Stadt arbeitete und hier seine seltsamen Monster schuf. Er spiegelte eine Welt der Seuchen und Sünde. (…)Willkommen zu Hause Hieronymus!“

Statt für spekulierenden Tiefsinn entscheidet sich das Festjahr „Jheronimus Bosch 500“ für assoziativen Leichtsinn. Wie Franz Marcs elementaren Pferde und Kühe auf Kaffeetassen und Sofakissen weiden, wimmelte die ganze Innenstadt von ’s-Hertogenbosch von den Wesen aus Boschs Bilderwelt. Die Dämonen sind zu Maskottchen geworden. Die schnattern, flattern und gackern in Animation durch einen Werbefilm oder flimmern nächtens als Lichtspektakel vorüber. Ballett und Zirkus tanzen und gaukeln uns die vermeintliche Welt des Hieronymus Bosch vor. Eine „Himmel-und-Höllen-Fahrt“ führte über der Dieze, einem Nebenfluß der Maas. 

Allein im Museum bleiben die Bildwelten unverrückbar, wie sie der Maler vor Jahrhunderten vor Augen stellte. Unklar bleibt dabei, wo er bewußt die Erwartungen zum Narren hält, falsche Fährten legt und die von seinen überreifen Bildern ausgeschleuderten Sporen den fruchtbaren Widerspruch säen. Denn die verläßlichen Schlüssel der Ikonographie, von der Bibel über die „Legenda aurea“ bis zu den „Metamorphosen“ des Ovid, heben hier keinen Riegel.

Bei Bosch entsteht der Eindruck eines unbekannten Evangeliums. Seine großen Triptychen sind als seltsam düstere Altäre in keiner Kirche vorstellbar. Unterhalb des signierten „Johannes auf Patmos“ aus der Berliner Gemäldegalerie hockt ein Käfer-Dämon mit Menschenhaupt. Dieser Kopf mit der Brille auf der Nase wird für ein Selbstporträt des Malers gehalten.

Lebenslang hat der Maler in seiner provinziellen Geburtsstadt ausgehalten, auf deren Marktplatz ihm 1929 ein bronzenes Standbild errichtet wurde. Er war Mitglied der Liebfrauenbruderschaft, der noch heute das niederländische Königspaar angehört. Der Herzog von Brabant war einer seiner Auftraggeber. Die „Visionen vom Jenseits“ aus Venedig befanden sich schon 1520 im Besitz des Kardinals Domenico Grimani. Nur in den Niederlanden gab es lange Zeit kein einziges Bild von ihm. Erst 1931 konnte das Rotterdamer Museum den „Landstreicher“ erwerben.

Hauptwerke wurden eigens aus diesem Anlaß restauriert

Das kleine nordbrabantische Museum in ’s-Hertogenbosch kann im Leihverkehr der großen Sammlungen eigentlich nicht mithalten. Mit einem Forschungsprojekt ist es ihm dennoch gelungen, die Bereitschaft der großen Häuser zu wecken. Das „Bosch Research and Conservation Project“ hat ein kritisches Werkverzeichnis erarbeitet. Die Eigenhändigkeit vieler Werke wird darin nun angezweifelt. Das betrifft so berühmte Bilder wie „Der Gaukler“, „Die Versuchung des heiligen Antonius“ und „Das Steinschneiden“, die nun als Repliken verschollener Originale durch die Nachfolger oder die Werkstatt angesehen werden.

Im Gegenzug konnte eine Darstellung des Antonius, die das Museum of Art in Kansas City im Depot bewahrte, in den Rang eines der 24 Tafelbilder und Triptychen erhoben, die von der Hand des Meisters überliefert sind.

Hinzu kommen noch einmal soviel Zeichnungen. Der größte Teil davon ist in der Ausstellung zu sehen. Unter den siebzehn ausgestellten Gemälden befinden sich vier Triptychen und vier beidseitig bemalte Tafeln. Mehr als die Hälfte dieser Hauptwerke wurden eigens aus Anlaß der lange geplanten Ausstellung restauriert. Mit dem Prado-Museum konnte man sich beinahe nicht einig werden. Die Aberkennung der Autorschaft einiger berühmter Bilder, die Philipp II. bald nach dem Tode des Künstlers zusammentrug, wollte man in Madrid nicht hinnehmen.

Doch das „Heuwagen-Triptychon“, von dem dendrochronologische Untersuchen nun nachweisen, daß der Meister es erst in den letzten Lebensjahren gemalt haben kann, gelangte für die Ausstellung aus Spanien zurück an seinen Entstehungsort. Aus rosa Wolken blickt Christus einsam herab. Lebenserfüllung und überirdisches Glück lassen sich mit Haken und Leitern nicht erringen. Einer kommt dabei gar unter die riesigen Räder. Hoch droben auf dem Heuballen, dem goldenen Wagen des Volkslieds, bietet ein Hain einen lauschigen Rastplatz. Ein blauer Geist flötet auf seiner Nase, und die heilige Familie singt und spielt dazu die Mandoline. Die Menschen sind wie Gras. Links neben dem Heuwagen sind im Zug zur Hölle der Landesherr Herzog Philipp der Schöne, der Kaiser Maximilian und Papst Alexander VI. zu sehen. Das Geschehen ist in einen milden Schein getaucht. Ob der von dem göttlichen Licht ausgeht, dessen die Seligen teilhaftig werden, oder den Widerschein des Höllenfeuers darstellt, bleibt ungewiß.

Die Einheit von Werden und Vergehen wurzelt in einer Ursache, die herrlich und schrecklich zugleich ist. Wenn Rilke meint, das Schöne sei nur des Schrecklichen Anfang, dann gilt für Boschs Malerei, daß die Schrecken zugleich auf die Schönheit hinweisen. Unsagbares ist gleichwohl malbar. Was wir mit Worten nicht fassen können, nehmen wir doch bereitwillig mit den Augen auf.

Nach seiner Geburtsstadt sind die Bilder jetzt am Ort des posthumen königlichen Verehrers von „El Bosco“ in Madrid versammelt. Das Museo del Prado ist mehr als nur die zweite Station der Jubiläumsausstellung zu Hieronymus Bosch. Hier sind nun wesentlich mehr Bilder zu sehen als in den Niederlanden. Die sechs Gemälde aus dem Haus werden ergänzt um Leihgaben aus London, Lissabon, Paris, Washington und New York. In dieser Vollständigkeit wird das seltsame Gesamtwerk kaum je mehr zu sehen sein.

Die Bosch-Ausstellung im Prado, Paseo del Prado, s/n, 28014 Madrid, ist bis zum 11. September täglich von 10 bis 20 Uhr, So. bis 19 Uhr, zu sehen. Telefon: 00 34 / 91 / 330 2800

 www.museodelprado.es