© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Knapp daneben
Interkulturelle Kompetenz nicht gefragt
Karl Heinzen

Für die meisten Studenten kommt irgendwann der traurige Moment, an dem sie sich der bitteren Erkenntnis stellen müssen, daß die schöne Zeit vorbei ist und die Arbeitssuche unvermeidlich wird. Verunsichert fragen sie sich dann: Was habe ich zu bieten, um potentielle Arbeitgeber davon zu überzeugen, ausgerechnet mich zu beschäftigen? Eine zufriedenstellende Antwort können sie sich in der Regel nicht geben. In der Schule wurde ihnen über die Wirtschaft kaum etwas vermittelt. In Praktika oder studentischen Nebenjobs erlebten sie Betriebe bloß aus der Froschperspektive und erledigten Niedrigarbeiten, die sie nur ertrugen, weil sie hoffen durften, in ihrem späteren Leben nie wieder so etwas tun zu müssen.

Also haben sie sich aufs Hörensagen zu verlassen, und dieses flüstert ihnen ein, daß Deutschland ja eine Exportnation ist und es daher überaus nützlich sein sollte, wenn man außer irgendeinem Abschluß auch noch etwas Auslandserfahrung nachweisen kann.

Um den Umgang mit fremden Kulturen einzuüben, muß man längst nicht mehr ins Ausland reisen.

Die Unternehmen scheinen dies blöderweise anders zu sehen. Nach einer Erhebung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ist es gut 60 Prozent der mehr als tausend befragten Personalverantwortlichen völlig gleich, ob ein Bewerber einen Auslandsaufenthalt nachweisen kann oder nicht. Was für sie zählt, sind die tatsächlichen persönlichen Qualitäten und nicht irgend­eine polyglotte Weltoffenheit mit ganz viel interkulturellem Verständnis, die durch geschönte Eintragungen im Lebenslauf suggeriert werden soll.

Die Personaler sprechen aus Erfahrung. Viele Bewerber geben einen Spaß­urlaub mit Kumpels, in dem sie in der Cafeteria einer Universität auch mal eine Cola getrunken haben, als Auslandssemester aus. Die meisten Hochschulabsolventen, die behaupten, die englische Sprache (oder gar weitere Fremdsprachen) fließend und verhandlungssicher zu beherrschen, geraten ins Stammeln, wenn sie in der Kneipe nach dem Weg zur Toilette fragen müssen. Vor allem aber wissen die deutschen Personaler um den Zustand unserer Gesellschaft: Um den Umgang mit fremden Kulturen einzuüben, muß man längst nicht mehr ins Ausland reisen.