© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Der Flaneur
Die Physik ist weiblich
Ira Austenat

Baubesprechung. Seit Wochen geht es nicht vernünftig voran. Ich steige aus dem Auto und erkenne das erfolgssichere Lächeln des Bauleiters, nachdem er meines rosa Nagellacks und der Blümchengummistiefel gewahr wurde. Ich denke an einen Feuilletonartikel, den ich vor Jahren las. Darin bemerkte eine Architektin mit einem Augenzwinkern: „Eine Frau auf der Baustelle ist zunächst mal eine dumme Tussi – behält sie jedoch recht, ist sie eine ganz blöde Ziege.“ Ich lächle zurück. Es ist das dritte Mal, daß ich ein Haus baue.

Die joviale Einladung zum Kaffee soll es wohl richten. Ich bleibe lieber auf der Baustelle, im Anblick der Jammernisse. Die folgenden Minuten sind gefüllt mit rhetorischer Leere. Meint der das ernst? Ich muß an meinen Vater denken, der zu sagen pflegte: „Kind, sogar Mädchen haben den Kopf nicht nur zum Haareschneiden – es muß auch was rein!“, und ich erkenne die subtile Emanzipation in dieser Satzkonstruktion. Alles hängt an dem Wörtchen „sogar“. Es reizt die Eitelkeit.

Der Frontverlauf ist geklärt. Ich ziehe die Blümchengummistiefel wieder aus.

In den folgenden Augenblicken erkennt auch der Bauleiter, daß es vielleicht einen Grund haben könnte, warum „die“ Physik weiblich ist und warum Mathematik und Eitelkeit auf eigenwillige Weise miteinander verwoben sind. Ich bemerke, wie sein Gesichtsausdruck vom „Tussi-“ in den „Ziege“-Modus wechselt und bin froh, auf dem richtigen Weg zu sein. Wir vereinbaren den nächsten Lagevortrag für die kommende Woche. Der Frontverlauf ist geklärt. Ich ziehe die Blümchengummistiefel wieder aus und gehe auf dem Kopfsteinpflaster zurück zum Auto – sehr vorsichtig, denn mein Vater würde es mißbilligen, wenn ich beim Laufen auf meinen High Heels die Knie nicht ausreichend strecken würde.