© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

„Männerstolz vor Königsthronen“
Moritz Schwarz führt seit 16 Jahren Interviews für das JF-Ressort „Im Gespräch“

Wer bei der Jungen Freiheit die Interviews führt, der kann was erleben. Alle „Kämpfer gegen Rechts“ wären entsetzt, säßen sie auch nur für einen Tag in unserer Redaktion. Nix ist’s in Deutschland mit „Männerstolz vor Königsthronen“, nix mit Zivilcourage, nix mit „Gesicht zeigen!“ Zwar werden JF-Interviewbitten reihenweise brav abgelehnt, wie es die Politische Korrektheit befiehlt (sogar gegebene Interviews mitunter zurückgezogen). Die Ausreden dabei machen aber klar, warum es 1933 in Deutschland so weit kommen und warum es in Mitteldeutschland bis 1989 munter so weitergehen konnte.

Echte politische Entrüstung, wie sie sich die Polit-Dompteure von der Aufpasserfraktion wünschen, ist dabei erstaunlich selten. Denn fast hat man doch mehr Respekt vor einer vernagelten, aber ehrlichen politischen Meinung als vor Katzbuckelei. Doch eben genau das dominiert die Absagen: Kopfducken, Duckmäusern und in die Büsche schlagen. Man bitte um Verständnis – aber was würden Kollegen / Kegelbrüder / Nachbarn sagen? Manch ein Politiker / Professor / Prominenter ist nach Erhalt der Ansichtsexemplare sogar voll des Lobes: „Tolle Zeitung!“ Kommt es dann aber zum Schwur: „Äh ... nun ...“ (Ja?) „Halten Sie mich bitte nicht für feige.“ (Auf keinen Fall. Wie kommt er nur darauf?) „Aber ... heutzutage ... man muß vorsichtig sein.“ Ja, ja, freie Presse braucht starke Herzen! Deutschland jedoch – ein Trauerspiel.  

Ach, geschenkt! Ritter von der traurigen Gestalt wollen wir gar nicht. Sonst endet es wie etwa mit jenem Historiker, der das Interview erst voller Entschlossenheit zusagte – dem dann aber während des Gesprächs so mulmig ob der eigenen Courage wurde, daß er begann, sich von seinen eigenen Thesen zu distanzieren. Politisch unkorrekte Aussagen an politisch unkorrektem Ort? Das war wohl zuviel. Immerhin eine ungewöhnliche „Exit-Strategie“, denn die meisten Angsthasen geben doch lieber das Medium als ihre Inhalte auf. 

Nein, Namen wollen wir hier keine nennen – aber seien Sie sicher, Sie kennen etliche bestens aus Presse, Funk und Fernsehen. Das heißt, mit Garrelt D. aus Niedersachsen (googeln Sie den Rest, wenn Sie neugierig sind) sei immerhin und ausnahmsweise ein Vorname genannt. Seines Zeichens Sozialdemokrat, wußte dieser Mann im Interview mit der Jungen Freiheit besonders wenig zu überzeugen: Thema war die während einer Fußball-WM plötzlich über Deutschland gekommene „neue“ (stand schon Jahre vorher in der JF) Erkenntnis, daß man beim Thema Patriotismus auch unverkrampft sein kann. Politiker D. beließ es allerdings nicht dabei, dies im Gespräch mit dieser Zeitung nur zu fordern – nein, er lebte es in seiner Rede auch gleich vor, O-Ton: „Da muß man viel lockerer mit umgehen ... da kann man auch mal ne deutsche Fahne (Pause) ... wehen (Pause) ... notfalls (Pause)... äh (Pause) ... wenn, wenn (Pause) ... die Nationalmannschaft gewonnen hat.“ Aha. Nun, ganz ehrlich, ich hätte so ein Interview schließlich auch zurückgezogen.

Daß Patriotismus „auf sozialdemokratisch“ auch anders klingen kann, bewies dagegen Egon Bahr, der völlig unbefangen anfing zu dichten, als es im JF-Interview mit ihm ums liebe deutsche Vaterland ging: „Weinend lieb ich Dich“ und „Kein Volk kann knieend leben“ – sicher, das ist höchstens sogenannte „Gebrauchslyrik“, aber „Tricky Egon“ hatte wirklich keine Manschetten!

In Hinsicht „Manschetten“ schoß dagegen jener Historiker den Vogel ab, der der JF ein ausführliches Interview zur Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gegeben hatte. Beim üblichen Gegenlesen der Abschrift fiel dem Blitzmerker dann allerdings auf: Die Junge Freiheit ist ja gar nicht die ehemalige FDJ-Zeitung Junge Welt! In letzter Sekunde zog er das fertige Interview zurück, aus Angst, dafür „diffamiert zu werden“. Dämmerte es dem Aufrechten denn gar nicht? Gerade hatte er zwei Stunden über das Einstehen für freie Meinung und Zivilcourage gesprochen! Ob er sich fortan schämte, wenn er an die Geschwister Scholl dachte?

Ja, ja die Jahre in der JF-Interviewredaktion lehren einen einiges. „Infolge langer Erfahrungen hat man aufgehört, viel von den Menschen zu erwarten“, wußte schon Mark Twain, und daß „Grundsätze keine wirkliche Macht haben – außer“, so der kluge Amerikaner, „man hat gerade gut gegessen“. 

Erster Interviewpartner der JF war 1986 der CDU-Bundestagsabgeordnete Bernhard Friedmann. Zum Wochenzeitungsstart im Januar 1994 führten wir ein Gespräch mit dem CSU-Politiker Peter Gauweiler. Zu den vielen Interviewpartnern im Laufe der Jahre gehörten unter anderem Alt-Bundespräsident Roman Herzog, der ehemalige Bundesinnenminister und Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda, CDU-Ministerpräsidenten und SPD-Politiker wie Egon Bahr oder Peter Glotz.

„Ich kann Ihnen ebenfalls keine rationale Erklärung dafür geben, warum im Westen die Presse, die Jurys, die Komitees allesamt linksgerichtet sind. Ich habe nichts gegen Linksgerichtete, eher schon gegen Rechtsgerichtete, aber das verstehe ich nicht. Als ich 1949 aus Ungarn nach Israel geflüchtet war und laut gesagt habe, der Stalinismus sei ein schreckliches System, wurde ich von diesem Moment an boykottiert. Diese Meinung galt als rechts und reaktionär. Ich frage mich seither, wie ist es nur möglich, daß fast alle europäischen Intellektuellen Anhänger der stalinistischen oder maoistischen Systeme waren? Man bleibt allein. Auch Ihre Zeitung. Sie sind ‘rechtsgerichtet’, weil Sie nicht linksgerichtet sind. Ihr niveauvolles Blatt ist nicht radikal, es ist nicht einmal, was man ‘rechts’ nennt, sonst hätte ich Ihnen kein Interview gegeben.“

Ephraim Kishon (1924–2005), israelischer Satiriker, in einem JF-Interview, 23. März 2001