© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Konservative Publizistik
Blick für das Kommende
Karlheinz Weißmann

Im Januar 1988 erschien in der Ausgabe 105 der Zeitschrift Criticón eine kleine Notiz über eine kleine Publikation. Der Titel der Publikation war Junge Freiheit, ein Heft im Format DIN A5 von wenigen Seiten Umfang, aber sauber gedruckt. Derartige Hinweise waren im Leitorgan der konservativen Intelligenz nicht ungewöhnlich. Sie gehörten auf „Das Blaue Brett“, wie die Rubrik hieß, und waren dazu gedacht, den interessierten Leser auf Veranstaltungen oder Neuerscheinungen im Bereich der Publizistik rechts der Mitte hinzuweisen. Die umfaßte damals noch ein verhältnismäßig breites Spektrum an Veröffentlichungen, von den Organen der „Alten“ (Nation Europa usw.) wie der „Neuen Rechten“ (Junges Forum, in gewissem Sinne auch Wir selbst) bis zu den konservativen Zeitschriften verschiedener Ausrichtung (Criticón, Student, Epoche). Daß die Junge Freiheit mehr als eine vorübergehende Erscheinung sein und die Beschränkungen dieses Lagers hinter sich lassen werde, hat damals niemand gedacht. Auch der Verfasser der erwähnten Notiz nicht. Aber es erschien ihm doch bemerkenswert, wenn sich in einer Phase der Neuorientierung irgendwo irgend etwas bewegte.

Eine Neuorientierung war für den deutschen Konservatismus Mitte der achtziger Jahre aus mehreren Gründen unumgänglich: weil sich ein Generationenwechsel abzeichnete, der für dieses Lager mit seinem Nachwuchsmangel besonders schmerzhaft ausfiel; weil noch die letzten Optimisten begreifen mußten, daß die von Kohl angekündigte „geistig-moralische Wende“ nicht stattfinden würde und man es nur mit „einer Ära, die keine war“ (Jürgen Habermas) zu tun hatte; weil sich mit den Republikanern eine Partei als Alternative zur Union anbot, aber deren Etablierung genauso wie deren Intellektualisierung steckenblieb; weil die Konservativen nach einer langen Phase der Nabelschau die Deutsche Frage und damit ihr eigentliches Thema wiederentdeckten.

Die Junge Freiheit hatte Bezüge zu allen hier kurz gekennzeichneten Tendenzen. Es handelte sich von Anfang an um ein „junges“ Projekt. Das ergab sich nicht nur aus den Lebensjahren ihres Chefredakteurs und ihrer Hauptmitarbeiter, sondern auch aus einer gewissen Unverbrauchtheit des Tonfalls und der Themenwahl. Die Selbstverortung als „nonkonformistisch“ signalisierte schon, daß man CDU /CSU mit einer gesunden Skepsis betrachtete. Die umgekehrt hielten auf Distanz, da sie gerade dabei waren, ihren historischen Kompromiß mit den fortschrittlichen Kräften des Gesellschaftslebens vorzubereiten. Insofern fiel die für viele konservative Projekte so fatale finanzielle Bevormundung durch die bürgerlichen Parteien weg, was die Stellung als unabhängige Stimme nur stärken konnte. Unabhängig hielt man sich auch von der 1983 gegründeten Partei Die Republikaner, obwohl deren Programmatik in vielen Punkten mit dem übereinstimmte, was zur Agenda der Jungen Freiheit gehörte: Antikommunismus, Kritik der Folgen des Kulturbruchs von ’68, Begrenzung der Einwanderung, Ablehnung des europäischen Superstaats, Distanz zu den USA, Verteidigung der Identität, Festhalten an der Wiedervereinigung.

Bedenkt man, wie klein die Zahl derjenigen in der Bundesrepublik war, die noch auf der nationalen Einheit als Ziel beharrte, muß man diesen Punkt besonders hervorheben. Allerdings ist auch zu betonen, daß es in den 1980er Jahren so etwas wie einen neuen Patriotismus gab. Der speiste sich ganz wesentlich aus Gruppen der Friedensbewegung, die erkannt hatten, daß die Teilung Deutschlands eine entscheidende Konfliktursache in Europa war und daß es im Kern weder um amerikanische noch um sowjetische Raketen ging, sondern darum, eine Antwort auf die Deutsche Frage zu finden. Damit kehrten in der Debatte verschiedene Ansätze für eine Neutralisierung, einen „Dritten Weg“ oder sogar für eine nationalbolschewistische Lösung wieder, die man schon in der Nachkriegszeit diskutiert hatte, die aber allmählich ganz zurückgedrängt worden waren. Spätestens mit der Ostpolitik, die die sozialliberale Koalition eingeleitet hatte, schien die Teilung auf Dauer zementiert, und die CDU / CSU hielt zwar pro forma am Verfassungsauftrag „Einheit Deutschlands“ fest, konnte sich aber nicht von langgehegten Illusionen trennen und die notwendige realistische Kehre vollziehen. Nur auf konservativer Seite gab es eine hinreichend große Zahl selbständiger Köpfe, die bereit waren, andere Ansätze zu prüfen und alternative Lösungen zu diskutieren. Dazu gehörten neben Bernard Willms und Harald Rüddenklau vor allem Hans-Joachim Arndt, Hellmut Diwald, Robert Hepp und Armin Mohler.

Wenn man sich die ersten Jahrgänge der Jungen Freiheit anschaut, wird man immer wieder auf die Namen dieser Altvorderen stoßen. Die Ursache dafür war nicht nur deren Widerborstigkeit und Weigerung, den linken Jargon oder die Floskeln bürgerlicher Sonntagsreden zu übernehmen, sondern auch die Leidenschaft, mit der sie sich für die Nation einsetzten. Man kann vieles von dem, was damals gedacht, geschrieben, geträumt wurde im Hinblick auf die Zukunft Deutschlands mit einer gewissen Irritation oder einem nachsichtigen Lächeln betrachten. Aber ohne Zweifel hatte das, was die „Neo-Nationalen“ vortrugen, mehr mit dem zu tun, was kommen würde, als die Einschätzung all jener Wortführer und Experten, denen man die Spalten der großen Blätter oder die Mikrofone der Rundfunk- und Fernsehsender zur Verfügung stellte.

Die Junge Freiheit hat zu Anfang eine Position besetzt, die zwar isoliert, aber von einem Blick für das Kommende gekennzeichnet war, den die etablierten Medien nicht besaßen. Daß sich damals etwas vorbereitete, was nicht nur für eine gewisse Szene von Belang war, sondern unter den Bedingungen der Wende von 1989 überraschend Aktualität gewann und letztlich die deutsche Zeitungslandschaft in Bewegung setzte, hat allerdings auch mancher feindliche Beobachter früh geahnt: „hier präsentieren sich“, hieß es in der Zeit, „selbstbewußte Intellektuelle, die Einfluß auf den öffentlichen Diskurs nehmen wollen und (…) schon aus der rechten Ecke ausgebrochen sind“.






Dr. Karlheinz Weißmann, Jahrgang 1959, ist Historiker und arbeitet im Höheren Schuldienst des Landes Nieder­sachsen. Von ihm stammt die erste Erwähnung der Jungen Freiheit in einem anderen Medium. Im Januar 1988 schrieb er in der von Caspar von Schrenck-Notzing herausgegebenen konservativen Zeitschrift Criticón: „In einer pluralistischen Gesellschaft definiert sich der Einfluß einer Gruppierung nicht allein und vielleicht nicht einmal zuerst durch ihren sichtbaren Anteil an der politischen Macht. Worauf es ankommt, das ist zunächst die Besetzung von Feldern im vorpolitischen Raum: nur eine vitale Subkultur garantiert längerfristig die Durchsetzung eigener Zielvorstellungen.“ Das Problem für Konservative bestehe nun darin, so Weißmann, daß sich eine solche Subkultur nicht „machen“ lasse. Es gebe auch nicht jenen „Wald von Blättern und Blättchen, der der linken und alternativen Szene zur Verfügung steht, um Informationen und Lebensgefühl durch ein ganzes Kapillarsystem sickern zu lassen“. Angesichts dieses Defizits sei das Erscheinen „einer solchen Zeitschrift wie Junge Freiheit besonders erfreulich“.