© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Skylla und Charybdis
Nach Gauland-Debatte: Die AfD droht in die Falle der Selbstradikalisierung zu laufen
Dieter Stein

Vor knapp einem Jahr kam es in Essen zum Trennungsparteitag der AfD. Nach monatelangem Machtkampf unterlag der Co-Bundessprecher Bernd Lucke und verließ mit Getreuen die Partei. Seine Neugründung war wie alle Abspaltungen der Parteiengeschichte bei jüngsten Wahlen erfolglos. Die AfD verlor nach Essen einige tausend Mitglieder, im Zweifel gemäßigte, und sackte vorübergehend in den Umfragen unter fünf Prozent. 

Die völlig aus dem Ruder laufende Asylkrise lieferte der AfD dann aber das Thema, mit dem sie in den Umfragen wieder nach oben schnellte. Die Partei wurde durch die von Merkel unter Bruch geltenden Rechts exekutierte Grenzöffnung in dieser Frage zu der Oppositionspartei, die alle etablierten Parteien vor sich hertrieb.

Dennoch zeigen die letzten Wochen, daß die Parteichefs Frauke Petry und Jörg Meuthen nicht in ruhigerem Wasser segeln. Wie Odysseus in der griechischen Sage stehen sie vor der Aufgabe, mit ihrem Schiff die Meerenge zwischen Skylla und Charybdis durchqueren zu müssen. Zwei Gefahren lauern auf die Partei: die Versuchung, durch Selbstaufgabe sich Union oder FDP konturenlos anzuverwandeln, und von Skylla, dem Establishment, aufgesaugt zu werden – durch den Abgang von Lucke erledigt. Die andere Gefahr ist diejenige, das Schiff auf den Felsen der Radikalisierung zu setzen und so von Charybdis verschlungen zu werden!

Denn: Eine sich radikalisierende AfD würde mindestens im Westen deutlich an Zustimmung verlieren – zur Freude der politischen Konkurrenz, die schon lange im Verbund mit maßgeblichen Medien das Bild einer rechtsradikalen AfD mühsam zu erzeugen suchte. Dabei gehen einige Medien unfair und tendenziös vor. Jüngstes Beispiel die FAZ, deren Sonntagsausgabe mit einem nicht autorisierten Zitat von AfD-Vize Alexander Gauland über eine vermeintlich beleidigende Aussage gegen den Nationalspieler Boateng eine tagelange Kampagne lostrat. Inzwischen kritisieren selbst linke Journalisten das Vorgehen der FAZ als unseriös.

Doch was ist, wenn die AfD ohne Zutun der Medien selbst Gründe liefert, die objektiv anstößig sind? So ist es kaum zu fassen, wenn AfD-Politiker kurz vor der Fußball-Europameisterschaft eine Debatte über den von Jogi Löw zusammengestellten Kader lostreten. Wenn Gauland bei Anne Will noch einmal räsoniert, daß die Nationalelf 1954 aber noch „klassisch deutscher“ war – während Kinder die deutschen Fahnen aus dem Keller holen, um in Kürze mit ihrer Nationalelf mitzufiebern.

Durch diese Debatte ist der unglückliche Eindruck entstanden, Konservative stünden nicht hinter hier geborenen Deutschen mit Migrationshintergrund, es gäbe hier eine klammheimliche Zustimmung zu einem Ausschluß aus der Gemeinschaft wegen anderer Hautfarbe oder Religion. 

Die Politik ungebremster, unkontrollierter Masseneinwanderung nach Deutschland muß scharf kritisiert werden. Wenn nicht gleichzeitig aber unmißverständlich klargemacht wird, was unter einem positiven, solidarischen Patriotismus verstanden werden sollte, nämlich ohne Wenn und Aber die hier lebenden, integrierten oder hier bereits als Deutsche geborenen Bürger mit Migrationshintergrund einzuschließen, dann endet ein solcher politischer Anlauf zu Recht in einer indiskutablen Sackgasse. Die AfD setzt einen großen Kredit aufs Spiel gerade bei integrierten Migranten, von denen auch nicht wenige in der AfD aktiv sind: Denn diese sind in ihren Stadtteilen mit die Hauptleidtragenden unkontrollierter Masseneinwanderung, sie wissen am besten, wie schwer Integration tatsächlich zu leisten ist! 

Daß die AfD das Tabuthema Islam anpackt, ist richtig. Mit einer pauschalen Feinderklärung an eine Weltreligion ohne Differenzierung wird das Kind jedoch mit dem Bade ausgeschüttet. Wenn die AfD den Islam für „grundgesetzwidrig“ (Frauke Petry) erklärt, sind dann gläubige Muslime pauschal Verfassungsfeinde und sollen von Staats wegen zur Aufgabe ihrer Religion genötigt werden? 

Warum spricht Alexander Gauland neuerdings von „raum- und kulturfremden Menschen“ und erinnert nicht an das positive Beispiel seines Engagements als Mitglied der hessischen Landesregierung, als er mithalf, 40.000 „Boat People“ aus Vietnam nach Deutschland zu holen, Menschen, die sich übrigens hervorragend integriert haben? Und warum deckt er, daß sich „sein Freund“ Höcke über einen von Gauland selbst mitgefaßten Bundesvorstandsbeschluß demonstrativ hinwegsetzt, nicht mit Pegida zusammenzuarbeiten mit der merkwürdigen Begründung, Höcke habe angeblich „viele Menschen an die AfD gebunden“ und es sei „deshalb ein gutes Recht, auch mal von einem Vorstandsbeschluß abzuweichen“, wie er gegenüber Bild am Sonntag äußerte? 

Am Sieg über Lucke haftet eine Hypothek, denn er gelang der jetzigen Führung nur mit Hilfe des schon damals als problematisch erkannten Rechtsaußenflügels um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Dieser hatte mit der in Essen geäußerten Losung, Frauke Petry sei „nur  das kleinere Übel“, klar gemacht, daß er noch seinen Tribut einzulösen gedenke. Inzwischen flammt erneut ein Machtkampf auf, bei dem sich die AfD-Kapitäne unverholen gegenseitig ins Steuer greifen. Der Höcke-Flügel wird dabei taktisch von Petry-Rivalen genutzt, um Mehrheiten gegen sie zu organisieren ein peinliches Spiel. 

Thilo Sarrazin prognostizierte nüchtern, über die Zukunft der AfD entscheide „ihre ganz eindeutige, inhaltlich und personell glaubwürdige Abgrenzung nach rechts“. Das hat die AfD bis jetzt nicht überzeugend gelöst, auch weil sie wegen des Machtkampfes nicht geschlossen und konsequent präventiv vorgeht. 

Im Falle des wegen unsäglicher antisemitischer Veröffentlichungen jetzt in die Schlagzeilen geratenen baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon handelt die Partei spät, doch immerhin geschlossen. Das von Sarrazin beschriebene Problem wird noch umfassend anzupacken sein.