© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Kinderkrankheiten nicht auskuriert
Luftfahrtmesse ILA: Der Airbus A400M war der Mittelpunkt der Ausstellung / Alternative Casa CN-235?
Fabian Schmidt-Ahmad

Von Alfa Romeo bis Toyota – alle würden gern mit deutschen Polizeibehörden ins Geschäft kommen. Aus regional- und industriepolitischen Gründen sind es in der Praxis meist BMW, Daimler, Ford, Opel und VW. Bei Großraumflugzeugen lautet die Frage fast nur: Airbus oder Boeing? Im Militärbereich ist die Auswahl aus rein politisch-wirtschaftlichen Gründen noch eingeschränkter. Das erklärt, warum einer der Hauptdarsteller der diesjährigen Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung Berlin der Airbus A400M Atlas war – und das gleich mehrfach.

Sparsam im Verbrauch, aber auch dauerhaft belastbar?

Während eine Werksmaschine die Wendigkeit des 80-Tonnen-Kolosses demonstrierte, zeigte die Bundeswehr als größter Einzelaussteller ein Ansichtsexemplar ihres neuen Transportflugzeuges, das auch in Frankreich, Großbritannien, Spanien und der Türkei zum Einsatz kommen soll – wenn alles nach Plan läuft, denn trotz Sonnenschein und einer gutgelaunten Crew gibt es noch immer erhebliche Probleme mit dem Flieger.

Atlas ist der Riese, der bei den alten Griechen das Himmelsgewölbe trug. Und auch der A400M hat einiges zu stemmen. Während Turboprop-Triebwerke von Großflugzeugen aus Sowjetzeiten auf hintereinanderliegende, gegenläufige Rotoren wirken, treiben die viermal 11.000 PS beim A400M die Propeller mit 5,3 Meter Durchmesser versetzt an. Das macht den A400M sparsam im Verbrauch, jedoch wirken die enormen Kräfte des Drehmomentes durch Vibrationen auf die Konstruktion. Eigentlich weiß niemand so recht, wie die hochmodernen Verbundwerkstoffe auf diese dauerhafte Belastung reagieren. Pannen, wie auftretende Schäden am Getriebe und Rißbildung an einer Testzelle zeigen deutlich – Airbustechniker beschreiten mit dem A400M Neuland. Ursprünglich hätte die Serienproduktion schon 2009 anlaufen sollen.

Ein weiterer Bundeswehr-A400M überflog die ILA während der Luftwaffenparade. Zusammen mit dem Exemplar am Boden konnte man so mit einem Blick die Hälfte des deutschen Bestandes von derzeit vier Maschinen überblicken. Dabei sollen in den nächsten vier Jahren eigentlich alle 53 georderten A400M an die Bundeswehr ausgeliefert werden. Doch daran glaubt niemand mehr ernsthaft. „Es ist gut in diesem Fall, daß wir einen sehr handfesten Vertrag haben, in dem Schadenersatzleistungen ganz klar geregelt sind“, erklärte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wenig diplomatisch während ihres Rundganges auf der ILA.

Tatsächlich hatte sich Airbus ursprünglich verpflichtet, die Entwicklungsrisiken zu übernehmen. Der in der Rüstungsbranche ungewöhnliche Vorgang zeigt, wie die Komplexität des Projektes unterschätzt wurde. Der A400M soll ein Alleskönner sein: Strategische Transporter müssen Großgerät über weite Strecken verlegen. Taktische Transporter dagegen sollen in umkämpftes Gebiet vordringen und Truppen und Material absetzen. Anforderungen, die sich widersprechen und mit dazu beigetragen haben, daß der A400M bis heute Wesentliches nicht erfüllt.

Störanfällige Komponenten verzögern Langstreckenflüge

Die Abwehr gegen Lenkflugkörper befindet sich noch in Entwicklung, ebenso das Absetzverfahren von Fallschirmspringern. Auch das Sarajewo-Manöver, eine Landung aus dem Steil­flug, welches Bundeswehrpiloten mit ihren C-160-Transall-Maschinen erstmals in Bosnien anwendeten, beherrscht der A400M derzeit nicht. Diese Voraussetzungen für taktische Einsätze sollen erst nach und nach als „Fähigkeitszuwächse“ kommen. Selbst als strategischer Transporter taugt der A400M nur bedingt, da die Überprüfung störanfälliger Komponenten alle zwanzig Flugstunden Langstreckenflüge einschränkt.

So bleiben die Länder bis auf weiteres auf das angewiesen, was sich in ihren Luftflotten befindet. Das ist vor allem die Lockheed C-130 Hercules, die auf der ILA mit einer Maschine der US-Luftwaffe vertreten war. Nach sechzig Jahren Produktionszeit ist sie zwar noch immer unverwüstliches Arbeitspferd, deren Technik aber veraltet ist. Die Bodenbelastung beispielsweise, wichtiges Kriterium für den taktischen Einsatz, ist bei der A400M trotz höheren Gesamtgewichtes geringer. Und auch bei Nutzlast und Reichweite haben die Europäer die Nase weit vorne. Das erklärt den Optimismus von Airbus-Chef Tom Enders: „Die A400M wird, wenn wir die jetzige Talsohle durchschritten, die Kinderkrankheiten kuriert und die militärischen Systeme voll hochgerüstet haben, das Rückgrat der europäischen Lufttransportflotten sein“, sagte er der Bild am Sonntag.

Tatsächlich, bekommt Airbus die Probleme in den Griff, hat der A400M das Potential, eine ähnliche Legende wie die C-130 zu werden. „Man wird uns außerhalb Europas um dieses Flugzeug beneiden, und es wird auch im Export sehr erfolgreich sein“, hofft Enders. Doch auch dann wird es in Deutschland lange Gesichter geben. Denn hierzulande soll der A400M die C-160 ablösen. Doch handelt es sich hier um zwei unterschiedliche Flugzeugkategorien – entsprechende Enttäuschungen sind vorprogrammiert.

Die C-160 ist ein zweimotoriger Transporter von gerade einmal 28 Tonnen Leergewicht. Das ist weniger als die maximale Nutzlast des A400M von 37 Tonnen. Auf der einen Seite ein strategischer Nachteil, ist das auf der anderen Seite ein taktischer Vorteil. Denn so gelangt die C-160 mit ihrer geringen Bodenbelastung und ihren kurzen Start- und Landestrecken an Orte, die mit einem A400M unerreichbar sind. So wird jene eine empfindliche Lücke überall dort hinterlassen, wo ein Transporthubschrauber nicht ausreicht.

Statt länger auf ein unpassendes Flugzeug zu warten, hätte sich Ursula von der Leyen längst auf dem Weltmarkt umschauen sollen. Airbus beispielsweise besitzt mit der Casa CN-235 einen leichten Transporter im Portfolio, der sich seit Jahrzehnten weltweit bewährt. Frankreich bestellte als Reaktion auf den verspäteten A400M zwei Dutzend CN-235 als Ergänzung. Hätte Deutschland mit Frankreich gemeinsam gegenüber Airbus verhandelt, wäre das für den Steuerzahler deutlich günstiger gewesen.

Luft- und Raumfahrtausstellung ILA 2016: www.ila-berlin.de