© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Brüsseler Warteschlangen
Einzelhandel: EU-Verordnung verlangt Neuregelung bei Kartenzahlungen / Mehr Entscheidungsgewalt für Kunden oder mehr Bürokratie?
Christian Schreiber

Eine EU-Vorschrift in schrecklichem Behördendeutsch hat es in sich. Artikel 8, Absatz 6, Unterabsatz 2 der Verordnung 2015/751 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge könnte ab dem 9. Juni für lange Schlangen an den deutschen Supermarktkassen sorgen. Die im April 2015 verabschiedete Gesetzesnovelle soll Kunden nun die Auswahl ermöglichen, welche Funktion ihrer Bezahlkarten sie benutzen wollen. Die meisten Verbraucher nutzen bisher in der Regel zwei Karten ihrer Bank oder Sparkasse: für den Alltag eine mit der jeweiligen Kontonummer sowie eine klassische Kreditkarte von American Express, Mastercard oder Visa.

Entstehende Mehrkosten auf den Kunden übertragen

Der gebräuchliche Name „EC-Karte“ hat eigentlich ausgedient: 2007 gab die deutsche Kreditwirtschaft ihren zwei bewährten Systemen, dem Bezahlen mit Kontokarte und Geheimzahl (Electronic Cash) sowie der Bargeldbeschaffung an Geldautomaten den Namen Girocard. Diese Karten werden von den ausgebenden Kreditinstituten oft mit zusätzlicher Debit-Funktionalität der US-Finanzdienstleister Mastercard oder Visa ausgestattet. Zu erkennen sind diese Kombikarten am zusätzlichen Maestro oder V-Pay-Logo.

Daß der Kunde die Möglichkeit hat, zwischen diesen beiden Zahlungsmöglichkeiten zu wählen, dürfte den meisten gar nicht bewußt sein. „Für mich als Verbraucher ist das aber letztendlich egal, ich habe mir vorher auch keine Gedanken darüber gemacht, die Auswirkungen dürften sehr gering sein“, sagte Sybille Miller-Trach, Finanzjuristin der Verbraucherzentrale Bayern, dem Bayerischen Rundfunk. 

Für die Kunden ändert sich insofern nichts – ganz im Gegensatz zu den Händlern: Denn diese sind gehalten, EU-Recht umzusetzen und den Käufern Wahlfreiheit anzubieten. Die allerdings könnte kostspielig werden. Denn bei der reinen Girocard zahlt der Händler Gebühren von 0,2 Prozent des Umsatzes, bei der Debitkarte (Maestro, V-Pay) ist es oft das Doppelte. Und das Zahlen mit Karte hat Konjunktur. Längst werden auch kleinere Beträge per Karte bezahlt. Der Anteil des Bargeldumsatzes im Einzelhandel lag voriges Jahr nur noch bei 52,4 Prozent. Der Kartenumsatz stieg von 43,7 Prozent auf 44,5 Prozent. Die restlichen Prozente entfallen auf sonstige Zahlungsarten wie Schecks. Auffallend ist bei dieser Statistik, daß der Trend hin zur Kreditkarte geht. Ihr Anteil ist im vergangenen Jahr von 5,3 auf 5,7 Prozent gestiegen. „Die Akzeptanz von Visa-Karten in Deutschland ist im vergangenen Jahr stark gestiegen“, erklärte ein Visa-Sprecher gegenüber der FAZ.

Einen Grund sehen Branchenkenner darin, daß Aldi, Lidl oder Mediamarkt mit den Kreditkartenanbietern günstigere Konditionen ausgehandelt hätten. Denn die Mehrkosten durch die Kartenzahlung direkt in Rechnung zu stellen, vergraulte die Kunden. Die Regeln von Visa in Deutschland erlauben generell keinen Aufschlag. Bei Mastercard und seit 2013 auch im Electronic Cash sind Aufschläge zulässig, wenn der Kunde vorher deutlich auf diese hingewiesen wird und sie sich „angemessen“ an den entstehenden Kosten orientieren.

Die Änderungen, die sich durch die EU-Gesetzgebung ergeben, betreffen daher nur jene Karten, die zwei Zahlungsfunktionen haben. Hier ist der Händler gesetzlich verpflichtet, beide Möglichkeiten anzubieten. Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern sieht diese Regelung skeptisch. Es stehe außer Frage, das EU-Recht rasch in die Praxis umzusetzen. Die Regelung müsse aber kundenfreundlich und praktisch sein. Der Handel will unbedingt vermeiden, daß jeder Kunde explizit gefragt wird, welche Kartenfunktion er nutzen möchte. Denn da immer noch viele Bürger gar nicht über die genauen Funktionen ihrer Karten Bescheid wüßten, könne dies zu langen Warteschlangen führen.

Handelsverband will Fragepflicht verhindern

Der Handelsverband HDE schlägt daher vor, daß beim Einkauf schon vom Einzelhändler eine Vorauswahl getroffen wird. Nur wenn der Kunde darauf bestehe, eine andere Zahlungsmöglichkeit nutzen zu wollen, solle diese eingeschaltet werden. Die Kunden könnten etwa im Eingangs- oder über den Kassenbereich auf diese Regelung hingewiesen werden. Ob dies aber gesetzeskonform ist, muß das Bundesfinanzministerium in Windeseile prüfen.

Das Bezahlen mit Girocard und Unterschrift (Lastschriftverfahren ELV) ist von der EU-Anwendung ausgenommen, da es juristisch nicht als „Kartenzahlverfahren“ gilt. „Der Händler hat also nach wie vor die Möglichkeit, vor einer Kartenzahlung festzulegen, daß auf die Möglichkeit einer Lastschrift geprüft wird und kann diese einsetzen“, erklärte der HDE. Datenschützer sehen dagegen Vorteile in der Auswahl: Das ELV biete den Händlern die zusätzliche Möglichkeit, über ihre Finanzdienstleistungsanbieter eine Datenbankabfrage zu machen, um so über das Kaufverhalten der Kundschaft informiert zu werden. Dies sei bei Maestro oder V-Pay hingegen nicht möglich.

Informationen zu neuen Bezahlfunktionen: b-ec-n.de