© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Blitzbesuch mit Signalwirkung
Außenhandel: Vier Wochen vor dem Gipfel zur Verlängerung der EU-Sanktionen war der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew in Baden-Württemberg
Michael Paulwitz

Der Termin war bewußt gewählt: Vier Wochen vor dem EU-Gipfel, auf dem über die Verlängerung der Rußland-Sanktionen entschieden werden soll, referierte der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew bei einer Veranstaltung der IHK Region Stuttgart über die „Perspektiven der russischen Wirtschaft“. Klaus Mangold, TUI-Aufsichtsrat und früherer Daimler-Vorstand, bringt die Kernbotschaft des von ihm eingefädelten Blitzbesuchs auf den Punkt: Die deutsche Wirtschaft müsse sich „verstärkt zu Wort melden“, um auf eine rasche Aufhebung der EU-Sanktionen zu dringen.

Es sei höchste Zeit, daß aus G7 wieder G8 werde und Wladimir Putin wieder zu den Treffen der Industrienationen eingeladen werde. „Wir akzeptieren den Primat der Politik, aber wir haben das Gefühl, daß die Wirtschaft überproportional zum Leiden gezwungen wird, ohne nachdrücklich unterstützt zu werden“, sagte Mangold, der bis 2010 Chef des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft war und weiterhin Honorarkonsul der Russischen Föderation in Baden-Württemberg ist, in seiner Einführungsrede. Deutschlands Handel mit Rußland habe sich seit 2012 halbiert. Baden-Württembergs Handelsvolumen mit Rußland sei um 40 Prozent gesunken, der Automobilabsatz um die Hälfte. Auch der Milchpreisverfall (JF 23/16) hänge wesentlich mit dem Verlust des Absatzmarktes durch das im Gegenzug zu den EU-Sanktionen von Rußland verhängte Import-Embargo zusammen.

Politik gehe nur im Dialog, und die Wirtschaft müsse dabei „vorangehen“ – sprich: Mangold forderte die im Saal versammelten Unternehmensvertreter indirekt auf, den Druck auf die Politik zu erhöhen. Hinsichtlich der Verlängerung der Sanktionen gebe es „divergierende Meinungen“ zwischen den EU-Ländern und auch innerhalb der Bundesregierung. Griechenland und Ungarn haben angekündigt, sich einem Verlängerungsautomatismus zu widersetzen. Die SPD-Minister Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier plädieren für eine „stufenweise“ Aufhebung. Die geplante Reise von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Petersburger Wirtschaftsforum (SPIEF) am 16. bis 18. Juni wertet Mangold ebenfalls als positives Zeichen.

„Wir müssen wieder mehr miteinander sprechen“

Uljukajew, der von Wirtschaftsvertretern und den Gouverneuren der Regionen Kaluga, Smolensk und Königsberg (Kaliningrad) begleitet wurde, hatte zuvor Daimler besucht und Hintergrundgespräche geführt. In seinem Vortrag zeichnete der frankophile Ökonom (promoviert an der UPMF-Universität Grenoble) ein optimistisches Bild der russischen Wirtschaft: Die Probleme seien „vorübergehend“, die „Talsohle“ beim Ölpreisverfall, durch den die russischen Rohstoffexporte zwar nicht an Menge, aber an Wert drastisch verloren hätten, sei erreicht, die Exporte zögen wieder an, der Rubelkurs sei stabilisiert, und auch die Inflation gehe zurück; der Kapitalmarkt erhole sich, und es gebe weniger defizitäre Unternehmen. Der Kapitalabfluß sei inzwischen gebremst.

Ausdrücklich bedankte sich der Minister für das anhaltende und langfristige Engagement der deutschen Wirtschaft, die trotz der Sanktionen weiter in Rußland investiert habe, das Technologietransfer und Qualifizierung dringend benötige. Die Investitionsmöglichkeiten seien derzeit günstig wie selten. Statt auf höhere Ölpreise zu hoffen, sei ein Reformprogramm in Gang gesetzt worden. Es gebe Erleichterungen bei Bürokratie, Zoll, Steuern und Abgaben; neue Modelle wie öffentlich-private Partnerschaften (PPP) und Konzessionsverträge böten durch die Aufteilung von Risiken Chancen auch für den Mittelstand.

Die Regierung investiere in Infrastruktur, Verkehr und Wohnungsbau. Der Ölkonzern Rosneft (BP-Anteil 19,75 Prozent) soll weiter privatisiert werden. Russische Vermögens- und Investitionsgüter seien derzeit günstig und wegen der Rubelabwertung seien die Arbeitskosten für westliche Investoren in Rußland derzeit niedriger als in China. Für deutsche Autohersteller könne es eine interessante Perspektive sein, in Kooperation mit der russischen Autoindustrie Pkw und Lkw für die Massenmärkte in aufstrebenden Schwellenländern zu bauen.

Dabei gehe es nicht nur ums Geschäft, man müsse auch verhindern, daß Vertrauen verlorengehe: „Wir müssen mehr miteinander sprechen und klar ansprechen, was verschwiegen wird, sonst werden unsere Kinder und Enkel die Fehler ausbaden müssen, die heute gemacht werden.“ Zumindest bei den Wirtschaftsvertretern trifft Uljukajew mit dieser Sichtweise auf offene Ohren.

Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft:  www.ost-ausschuss.de

St. Petersburg International Economic Forum: forumspb.com