© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Zeitschriftenkritik: Gehirn und Geist
Psychische Belastungen bewältigen
Werner Olles

Psychisch bedingte Beschwerden fühlen sich zumeist nicht anders an als solche mit somatischer Ursache, denn oft spielt beides zusammen. Es gibt körperliche Auslöser, aber erst die Beschäftigung mit den Symptomen trägt dazu bei, daß sie chronifizieren, wie etwa beim somatoformen Schwindel. Immer öfter greifen Psychotherapeuten deshalb noch heute zu bildhaften Vergleichen, um die Zusammenhänge zu veranschaulichen: Schmerzt beispielsweise der Rücken, dann tragen wir schwer an unserer Alltagslast. Bricht eine Neurodermitis aus, reagiert die Seele möglicherweise „allergisch“. Spielen Magen und Darm verrückt, können wir einen Konflikt nicht verdauen. Wissenschaftler entdecken inzwischen immer mehr Verbindungsstücke zwischen Körper und Psyche. Schwere Belastungen setzen Botenstoffe frei und diese ihrerseits Entzündungsprozesse in Gang. Chronischer Streß wiederum bringt den Hormonspiegel dauerhaft aus dem Lot. 

Gehirn und Geist, das „Magazin für Psychologie und Hirnforschung“, befaßt sich in der aktuellen Ausgabe (3/2016) der Reihe „Ratgeber“ mit der Psychosomatik. So werten die meisten Betroffenen Schwindelgefühle als Anzeichen einer körperlichen Erkrankung. Doch in etwa einem Drittel der Fälle sind psychische Belastungen die Ursache. Im Fall einer depressiven Grunderkrankung leiden die Betroffenen häufig an einem diffusen Dauerschwindel, im Rahmen einer Panikstörung hingegen unter episodisch auftretenden Schwindelattacken. Dabei kann eine Psychotherapie den Patienten helfen, das Vertrauen in den eigenen Körper zurückzugewinnen. Tatsächlich sind nämlich traumatische Lebensereignisse wie Scheidung, Verlust eines geliebten Menschen oder eine schwere Krankheit typische Auslöser des somatoformen Schwindels.

Daß psychische Belastungen Neurodermitis oder Schuppenflechte verschlimmern können, ist heute bekannt. Über ein kompliziertes Wechselspiel von Nerven- und Immunsystem begünstigt chronischer Streß die Entstehung von Entzündungen in der Haut. So werden entzündliche Hauterkrankungen schlimmer, wenn eine wichtige Prüfung bevorsteht oder Streit in der Familie herrscht. Zu lernen, wie man solche Belastungen im Alltag erfolgreich bewältigt, kann wesentlich dazu beitragen, sich wieder in seiner Haut wohlzufühlen. Eine Reduzierung des überhöhten Leistungsdrucks und die Entwicklung von Bewältigungsstrategien können zusammen mit Entspannungsverfahren ein wichtiger Therapiebaustein sein, um die Entzündungsreaktionen in der Haut zu bremsen.

Doch ein einfaches Rezept für eine stabile Gemütslage gibt es nicht, denn der Grundstein für unser Seelenleben wird bereits früh gelegt: Erbanlagen und Erfahrungen im Kindesalter bestimmen noch Jahre später die Psyche. Die größten Glücksbringer sind gute Freundschaften, eine glückliche Ehe, geregelte Tätigkeit und Bewegung an der frischen Luft. Aber auch die Wohnqualität, der Glaube, Meditation und Humor leisten einen guten Beitrag.

Kontakt: Verlag Spektrum der Wissenschaft, Postfach 104840, 69038 Heidelberg. Das Einzelheft kostet 8,90 Euro. 

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