© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Per Anhalter ins Ungewisse
Fluch und Segen: Diane Kruger in dem Film „Sky – Der Himmel in mir“
Sebastian Hennig

Bevor Paris die Helena entführte, mußte er von drei Göttinnen die Schönste benennen. Diane Kruger hat sich gegen dreitausend Bewerberinnen durchsetzen müssen, um 2004 neben Achilles Brad Pitt die schönste Frau der Antike darzustellen. Zwölf Jahre zuvor hatte Harald Schmidt in seiner Sendung „Schmidteinander“ Fräulein Heidkrüger (Krugers Geburtsname) aus der niedersächsischen Provinz mit sarkastischen Bemerkungen in die Welt der großen Modenschauen hinausgeleitet. Damals hatte es die 16jährige unter zehntausend bis ins Finale des Modelwettbewerbs „Look of the Year“ der Agentur Elite geschafft.

 Später rückte ihr Gesicht bald auf die Kinoleinwand, dort wo hektische Aktion mit dem starren Herzeigen kühler Schönheit wechselt. Mit ihren nahezu ebenmäßigen Gesichtszügen und der gazellenhaften Eleganz hätte sie bereits in der schwarzweißen Stummfilmzeit Karriere machen können. Die einfache Präsenz ist auf die Länge unzureichend. Wer nicht wie ein Rohstoff verbraucht werden will, der muß sich eine Veredlungsform suchen, die ihm Dauer gewährt. Der anspruchsvolle erzählerische Autorenfilm hält subtilere Rollen bereit.

Als Kruger gerade die Schauspielschule in Paris abgeschlossen hatte, sah sie sich zum ersten Mal als Schauspielerin gefordert. Fabienne Berthaud mußte die Besetzung für ihr Spielfilmdebüt 2005 zunächst noch gegen den Willen ihres Produzenten durchsetzen. Seither hat Kruger in allen ihren Spielfilmen die Hauptrollen inne, sind diese um sie herum gebaut. Nach dem Model-Film „Frankie“ und dem Lobgesang auf das Landleben „Barfuß auf Nacktschnecken“ (2010) ist „Sky – Der Himmel in mir“ nun der dritte gemeinsame Film. Erzählerisch und ästhetisch ist er ein Durchbruch und steht in der besten Tradition des unterhaltsamen und zugleich nachdenklichen französischen Kinos.

Das französische Ehepaar Romy (Diane Kruger, auch im Film mit deutschen Wurzeln) und Richard (Gilles Lellouche) unternimmt eine Reise in die Vereinigten Staaten. Sie wollen damit die Schatten von ihrer Ehe abstreifen. Die Vorwürfe und Unterschiede lasten auf ihrer gelockerten Gemeinsamkeit so schwer, daß sich die Krise unter dem fremden Himmel in einer Katastrophe entlädt.

Die Spiritualität einer grandiosen Natur soll das entleerte Leben wieder anfüllen. Doch letztlich füllt Richard nur sich und zwei überspannte Blondinen mit Sprit ab. Die Verlassenheit der Gegend empfindet er als Langeweile. Der Alkohol enthemmt ihn auf ungute Art. Demütigungen und Handgreiflichkeiten hinterlassen seelische und körperliche Verletzungen.

Ein Kunstgriff des Films besteht darin, daß Romy ihn nicht sofort verläßt, sondern nach einer Alptraumnacht im Dunkel verkommener Motels zurückkehrt. Als sie sich selbst der Polizei stellt, weil sie glaubt, ihren Mann erschlagen zu haben, trifft sie auf einen gewissenhaften Beamten voller Menschenkenntnis und Achtsamkeit. Die Reise per Anhalter ins Ungewisse kommt bald ans Ziel.

Aus der natürlichen Schönheit der Wüste verschlägt es sie in die schaurige Kulisse der Casino- und Varieté-Stadt Las Vegas. Der Versuch, sich in den unnützen Spielen nützlich zu machen, scheitert kläglich. Sie wird von einer gealterten Animateurin (Laurene Landon) aufgenommen. Im geborgten Hasenkostüm und mit Perücke soll sie Vorübergehende zum gemeinsamen Foto überreden. Wie das mißlingt, ist autobiographische Selbstironie und eine Reminiszenz auf den gemeinsamen Film „Frankie“, in dem Kruger ein erschöpftes Mannequin verkörperte. Sie meint über die Regisseurin und Drehbuchautorin: „Die Rollen, die sie für mich schreibt, zwingen mich immer wieder dazu, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen.“

Sie wird vom Naturpark-Ranger Diego (Norman Reedus) angesprochen, der sie für eine Prostituierte hält. Der Irrtum und ihre Absage an die Liebe lösen eine kurze heftige Affäre aus. Die Frau reagiert darauf instinktiv weiblich mit dem Gefühl neuer Zugehörigkeit.

An diesem Punkt wird aus „Sky“ etwas mehr als ein sentimentales Roadmovie. Sie fährt durchs Land, um ihn in der abgelegenen Hütte zu erwarten, die er mit einem Leguan bewohnt. Der Kriegsveteran möchte keine Einquartierung dulden und keine Verantwortung mehr übernehmen. Sie dagegen tut dies sofort und bewährt sich im Haus auf häusliche Weise. Ihn hat die Uranmunition nicht nur zu einem Kranken, sondern einem langsam Sterbenden werden lassen. Der Gedanke an ein gemeinsames Kind bedroht Diego wie ein Fluch. Ihrem Schwangerschaftsbekenntnis schließt sich eine gewaltsame Trennung auf engem Raum an.

Zu dem letzten gemeinsamen Film von Berthaud und Kruger „Barfuß auf Nacktschnecken“ schrieb die Spiegel-Kulturredakteurin Hannah Pilarczyk: „Doch auch die stimmungsvollsten Aufnahmen können nicht über den reaktionären Kern des Films hinwegtäuschen.“ Dieses Urteil ließe sich mühelos auf „Sky“ ausdehnen. Es geschehen keine Wunder der Selbstbestimmtheit. Menschliche Verfehlungen sind die verhängnisvolle Grundierung. Dabei steht den Schauspielern ihr Leiden großartig zu Gesicht.