© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Die Welt spricht Deutsch
Was für eine Schnapsidee, die Frontscheibnitza mit Kirushuwassa zu reinigen! Über die Ausstrahlungskraft der deutschen Sprache
Bernd Rademacher

Ja freilich, „Denglisch“ ist ein Ärgernis im öffentlichen Raum. Maßgeblich schuldig daran sind die Werbefritzen, die das Straßenbild mit „Sale“, „to go“ und ähnlichem Stuß verunstalten. Auf diesem Wege sind Begriffe in unsere Sprache eingeflossen, die im Englischen überhaupt keinen Sinn ergeben wie das Handy, der Service Point oder Public Viewing. Und das schon sprichwörtlich gewordene „Senk ju vor trewwelling wis Deutsche Bahn“ dürfte Engländern genauso in den Ohren schmerzen wie deutschen Reisenden.

Daß wahrhaftige deutsche Begriffe ins Englische eingehen, ist so selten allerdings auch nicht. Der Engländer kennt nicht nur bildungsroman, doppelganger und hinterland, sondern längst auch the energiewende! In britischen Medien ist von leitkultur, realpolitik und zeitgeist die Rede. Automobilreklame verspricht fahrvergnugen, und die Kleinen lieben kinder-eggs, die wir als Überraschungseier kennen!

„Aber Sie können doch nicht einfach ...“ – „Doch!“

Verwirrend sind für Engländer jedoch viele deutsche Tiernamen: So ist der Truthahn kein Hahn, der Waschbär kein Bär, der Tintenfisch kein Fisch, die Fledermaus keine Maus und die Schildkröte keine Kröte. Lustig dagegen: Die Tierarten porpoise, dugong, porcupine, capybara und guinea pig sind auf deutsch allesamt Schweine: Schweinswal, Seeschwein, Stachelschwein, Wasserschwein und Meerschweinchen.

Der Sprachlehrer, Übersetzer und Politologe Ed M. Wood stammt aus Englands kleinster Gemeinde Wells und lebt in Berlin. Im Magazin der Online-Sprachschule www.Babbel.com wirbt er für die Übernahme von mehr deutschen Begriffen in die englische Sprache.

Zum Beispiel Ohrwurm, Naschkatze oder das Kopfkino haben es ihm angetan. Obwohl Englisch eine sehr funktionelle und kompakte Sprache ist, erzeugen diese deutschen Begriffe trotz ihrer Kürze prägnante Bilder, die das Gemeinte im wörtlichen Sinne „ausmalen“. Ein weiteres „german word“, das Mr. Wood liebt, ist die Schnapsidee (schnapps idea). Auch der Dickkopf (thickhead) bringt in einem Wort auf den Punkt, was für einen Menschen man sich darunter vorzustellen hat. Schon etwas ältere, aber unübertroffen gut beschreibende Wörter sind Bandsalat und Kulturbeutel.

Noch ein Wort, um das uns Engländer beneiden, ist das praktische doch. Mit dieser einen Silbe lassen sich ganze Satzkaskaden in einer Debatte radikal beenden. „Aber Sie können doch nicht so einfach ...“ „Doch!“ – und fertig!

Wood ist viel herumgekommen, weltläufig und in vielen Sprachen zu Hause, doch ein deutsches Wort begeistert ihn wegen seines Klanges: Es ist der Tolpatsch. Allerdings folgt der Brite hier der falschen Fährte, denn der Wortstamm liegt in Ungarn. Der talpas (etwa: Breitfüßler) war ein ungarischer Infanteriesoldat, der auf untergeschnallten Holzsohlen ging, was eben sehr tolpatschig aussah.

Weitere deutsche Wörter im englischen Sprachgebrauch sind das erfolgsrezept und die schadenfreude. Wir haben da noch einen Vorschlag: to merkel something (Verb, unregelmäßig: to merkel, maas, maiziere.) Übersetzung: etwas vermurksen, total ruinieren. Beispiel: „Oh no, don’t put sand in the engine, you will merkel it!“ (Oh nein, streu’ keinen Sand in den Motor, du wirst ihn noch merkeln!“)

Aber Germanismen haben sich noch in viele weitere Sprachen eingeschlichen: Der Däne feiert den Polterabend und ist danach meist besoffen, ebenso wie der Japaner, der zuviel Kirushuwassa (Kirschwasser) getrunken hat und nicht mehr mit dem Wagen fahren darf. In Bulgarien bestellt man dann eine Marsh­rutka (Marschroute), ein Sammeltaxi. Ist kein Sprit mehr im Tank, fährt der Perser zur Pompe Benzin. Beim Spritpreis ärgert sich der Albaner über die hohe Shtojer. Der Bosnier reinigt noch schnell die Frontscheibnitza. Der Norweger weiß, daß man dafür Fingerspitzgefühl braucht.

Am nächsten Tag folgt beim Polen der unausbleibliche Kacenjamer. Da bleibt man, wie in Portugal, besser beim Malzbier. Niest der Rumäne, sagt man Helfgott und schließt das Oberlicht. Der Spanier philosophiert über Weltanschauung, während der Russe ganz ohne Zejtnot mit Appetit sein Buterbrod verspeist. Für den Niederländer ein Aha-Erlebnis.