© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Virginia Raggi. Die Fünf-Sterne-Politikerin will die erste Bürgermeisterin Roms werden
Die Kandidatin
Marco F. Hermann

Rom ist ein Sumpf. In der Tradition päpstlicher Nepoten walten die römischen Bürgermeister bis heute: Vetternwirtschaft, Bestechung und Mafiaverbindungen. Im Herbst 2015 stürzte das Stadtoberhaupt Ignazio Marino über einen Korruptionsskandal und trat zurück. Seitdem regiert ein Kommissar die Stadt.

In dieser Situation erscheint die Bürgermeisterkandidatin Virginia Raggi den Römern als eine Art Jeanne d’Arc – die Mächtige und Kriminelle herausfordert. „Mut“ ist das erste Schlagwort ihrer Kampagne. Es findet sich im Wortspiel CoRAGGIo wieder, das zum Motto ihrer Anhänger avanciert ist. Die andere Parole lautet „Onestà“ – Ehrlichkeit. Kein öffentlicher Auftritt, ohne daß die Menge den Ruf nach mehr Aufrichtigkeit skandiert.

Die 37jährige Juristin gehört der Fünf-Sterne-Bewegung an, die der ehemalige Kabarettist Beppe Grillo 2009 ins Leben gerufen hat. Das Projekt verstand sich von Anfang an als Kampfansage gegen die „Kaste“ und als Bürgerbewegung für mehr Basisdemokratie, Investitionen in Infrastruktur und ökologische Projekte. Seit 2013 sitzt Raggi im römischen Senat. Bis zur Vorwahl im Februar, die per Onlineabstimmung erfolgte, hatte sie sich jedoch eher im Hintergrund gehalten.

Im Wahlkampf gibt sich die gebürtige Römerin volksnah und schlagfertig. Als Grund für ihren Eintritt in die Politik nennt sie die Geburt ihres Sohnes, dem sie ein besseres Leben ermöglichen wolle. Der öffentliche Nahverkehr, das Schulwesen und die Abfallprobleme der Stadt sind ihre Hauptanliegen. Für Aufregung sorgt Raggi, seitdem sie die Olympiabewerbung der Ewigen Stadt in Frage stellt; ein Prestigeprojekt der Politik. Die Kandidatin unterstreicht: die Römer interessiere die Olympiade nicht, sondern die Stopfung der Straßenlöcher und die Pünktlichkeit des Nahverkehrs. Als ein Moderator nachhakte, wurde Raggi schroffer: ein Bürgermeister müsse auf die Römer hören, nicht auf die Probleme von Journalisten.

Bei solchen Breitseiten gegen die Elite liegt der Populismusvorwurf nicht fern. Die von Raggi angestrebten Projekte in Verkehr und Bildung seien nicht finanzierbar, heißt es. Tatsächlich antwortet Raggi bei solchen Fragen ausweichend. Geschadet hat ihr das nicht. Die Römer straften die etablierten Parteien im ersten Wahlgang am 5. Juni ab.

Raggi gewann mit zehn Prozent Vorsprung vor Roberto Giachetti vom sozialdemokratischen Partito Democratico, der auch Ministerpräsident Matteo Renzi angehört. Der PD konnte sich nur deswegen in den zweiten Wahlgang retten, weil sich das rechte Lager zuvor gespalten hatte. Letzteres will nun im nächsten Wahlgang am Sonntag Raggi unterstützen. Mit Virginia Raggi könnte zum ersten Mal eine Frau die Ewige Stadt regieren. Und die Fünf-Sterne-Bewegung hätte damit das wichtigste italienische Amt auf kommunaler Ebene erobert.