© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Spiel mit dem Feuer
AfD I: In jüngster Zeit wird wieder gefordert, Teile der Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen
Werner Becker

Schon mehrfach hat der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen ausdrücklich erklärt, die AfD sei keine rechtsextreme Partei und es gebe keinen Anlaß, sie durch den Inlandsnachrichtendienst zu beobachten. Mancher in der auf einer Erfolgswelle reitenden Alternative für Deutschland mag das als Persilschein betrachtet und sich in voreilige Sorglosigkeit gewiegt haben. Ein gefährlicher Trugschluß: Die „Verfassungsschutzkeule“ schwebt weiter über der AfD, und ihre Gegner lauern auf jeden Fehler und jede Nachlässigkeit, die einen Vorwand bieten könnte, sie wieder heruntersausen zu lassen.

Am vergangenen Wochenende hat Thomas Oppermann, Chef der SPD-Bundestagsfraktion, jetzt nachgelegt. Der Verfassungsschutz solle „Teile der AfD“ beobachten, denn „einzelne AfD-Agitatoren“ hätten „ein klar rechtsextremes Weltbild“. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, der schon im Februar nach den Schlapphüten gerufen hatte, schob den Reizbegriff „Nazi“ hinterher.

Von Trittbrettfahrern konsequent distanzieren

Steter Tropfen höhlt den Stein. Das Netz, in dem die AfD sich schließlich doch noch verfangen soll, wird emsig weitergeknüpft. Die Identitäre Bewegung wird inzwischen von mehreren Verfassungsschutz-Landesämtern beobachtet; dort sei „die Schwelle für eine Beobachtung“ erreicht, erklärte Maaßen kürzlich. Ähnlich verhält es sich mit Pegida. Zwar sieht der sächsische Verfassungsschutz noch keinen Grund, die Bewegung in ihrem Stammland ins Visier zu nehmen. Zahlreiche westdeutsche Pegida-Ableger gelten inzwischen aber als von der NPD oder anderen rechtsextremistischen Gruppierungen unterwandert. In Bayern hat das Landesamt für Verfassungsschutz fünf regionale Pegida-Gruppen unter Beobachtung gestellt.

Das Engagement einzelner AfD-Politiker und Vertreter der Nachwuchsorganisation Junge Alternative bei Pegida und Identitären könnte sich vor diesem Hintergrund als Zeitbombe erweisen. In realistischer Einschätzung dieser Lage hat daher der AfD-Bundesvorstand Parteimitgliedern Auftritte bei Pegida-Veranstaltungen unter Parteiflagge als Teilnehmer oder Redner untersagt. Sollte der Beschluß durch den Widerstand der „Patriotischen Plattform“ gekippt werden, wäre das ein riskantes Spiel mit dem Feuer.

In Bayern werden einzelne AfD-Mitglieder, die – in den Worten des stellvertretenden Behördenchefs Sönke Meußer – „schon vor ihrer Parteizugehörigkeit in rechtsextremistischen oder islamfeindlichen Bereichen auffällig geworden sind“, bereits vom Verfassungsschutz unter die Lupe genommen. Auch Bundesverfassungsschutzpräsident Maaßen hatte nach dem Bundesparteitag der AfD verlauten lassen, man werde sich Einzelpersonen „anschauen“, bei denen man „Extremismus vermuten würde“.

Der Verfassungsschutz in Thüringen, dessen Präsident der frühere Generalsekretär des Zentralrats der Juden Stephan Kramer ist, sieht zwar ebenfalls „die Voraussetzungen für eine Beobachtung nicht erfüllt“. Aber man durchforstet „offene Informationen, Medienberichte und Stellungnahmen“ der Partei und ihre Mitgliederschaft. Kramer raunte bereits von „Anhaltspunkten“, aus denen sich eine „veränderte Bewertung“ ergeben könnte.

Der bayerische AfD-Vorsitzende Petr Bystron hat zweifellos recht, wenn er das Vorgehen der Verfassungsschützer als „politisch motiviert“ kritisiert. Doch gerade deswegen hat die AfD bisher gut daran getan, sich von rechtsextremen Trittbrettfahrern konsequent zu distanzieren, um keinen Beobachtungsvorwand zu liefern. Auch die bayerischen Verfassungsschützer haben das registriert. 

Mit „Jetzt erst recht“-Trotzreaktionen würde die AfD dagegen geradewegs ins offene Messer laufen. Würde sich die Einstellung durchsetzen, Extremismusvorwürfe und Verfassungsschutzdrohungen schlicht zu ignorieren und „Klartext“ um jeden Preis und ohne Rücksicht auf die Folgen zur Richtschnur zu machen, liefe die Partei geradewegs in die Falle.  

Radikale Mitglieder seien zwar „eine deutliche Minderheit“, so Bystron im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT: „Aber sie waren schon immer überproportional laut. Und sie bekommen überproportional viel Aufmerksamkeit der Medien. Viele von denen versuchen, radikale Positionen unter dem Deckmantel der Redefreiheit in der Partei zu etablieren. Das ist natürlich perfide, denn die Freiheit der Gedanken und des Wortes ist für die meisten von uns ein hohes Gut. Doch nicht alles, was gesagt werden kann, soll und will die AfD als ihre Parteilinie vertreten. Menschen, die bei ihren Äußerungen keine Rücksicht auf das Überleben der Partei nehmen, sind hier falsch am Platz“, bekräftigte der bayerische Landesvorsitzende. Und ergänzt: „Antisemitismus ist sicher ein absolutes ‘No-Go’, da sind wir uns alle einig.“

Gefahr droht der AfD daher nicht nur von Übelwollenden in anderen Parteien und Medien, sondern auch von Unbedingten in den eigenen Reihen, die den Ernst der Lage ignorieren. Denn eine Verfassungsschutz-Beobachtung bedeutet in jedem Fall eine schwere Hypothek für jede betroffene Partei. Die damit verbundene Rufschädigung schreckt viele potentielle Wähler ab – die grundsätzlich Mißtrauischen, die sich unabhängig informieren und eine solche Maßnahme als Mittel durchschauen, den Etablierten unerwünschte Konkurrenz vom Halse zu halten, sind nach wie vor eine Minderheit. Und anders als die ebenfalls lange vom Verfassungsschutz ins Visier genommene „Linke“ hätte die AfD kaum Verbündete in den Medien.

Noch schwerer wiegt, daß die Verfassungsschutz-Beobachtung öffentlich Bedienstete und aus unterschiedlichen Gründen auf ihre Reputation bedachte Bürger dauerhaft von einer derartigen Partei fernhält. Der Makel des „Verdachts auf verfassungsfeindliche Bestrebungen“ liefert den Vorwand für disziplinare Maßregelungen und kann gefährlich für Stellung und Laufbahn werden. Ein gravierender Aderlaß an Mitgliedern, Amts- und Mandatsträgern bis zur Spaltung und ein massives Hindernis für das weitere Wachstum der Partei wäre die unausweichliche Folge. Das Beispiel der Republikaner zeigt, daß dies eine Partei dauerhaft ruinieren kann, selbst wenn sie sich schließlich erfolgreich aus der Beobachtung herausklagt, weil das aufgeklebte „Rechtsextremismus“-Etikett in der öffentlichen Wahrnehmung zum Selbstläufer wird. Und umgekehrt fühlen sich dann erst recht tatsächliche Extremisten eingeladen, der Partei beizutreten, um ihr eigenes programmatisches Süppchen zu kochen; was dann wiederum – der Teufelskreis läßt grüßen – die Verfassungsschützer in ihrer Einschätzung bestärken würde. 

Es ist kein Zufall, daß die Debatte über eine nachrichtendienstliche Beobachtung der AfD gerade im Zuge der Antisemitismus-Vorwürfe gegen den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon wieder hochkocht, auch wenn Oppermann noch einmal ungeschickte Äußerungen von AfD-Politikern zu Mitgliedern der Fußball-Nationalmannschaft bemüht, der Partei eine „völkische Ideologie, die Minderheiten, Flüchtlinge und Einwanderer ausgrenzt und zu Sündenböcken macht“, zu unterstellen.

Während eine Stigmatisierung der AfD wegen asyl- und islamkritischer Äußerungen bei vielen Bürgern nur noch ungläubiges Kopfschütteln hervorruft, hört bei antisemitischen Zweideutigkeiten in der Regel jedes Verständnis auf. Ein nicht mit klarem Schnitt ausgeräumter Antisemitismusverdacht wäre ein willkommenes Argument, um eine Verfassungsschutz-Beobachtung der Partei durchzusetzen. Diffamierungen kann glaubwürdig nur abwehren, wer extremen Positionen eine klare und unzweideutige Absage erteilt.