© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/16 / 17. Juni 2016

Das 32-Milliarden-Risiko
Griechenland-Paket: Weitere Hilfszahlung steht an / Wie teuer würde ein Schuldenschnitt für Deutschland?
Dirk Meyer

Im August 2015 wurde das dritte Rettungspaket für Griechenland beschlossen. 26 der 86 Milliarden Euro des Rettungsfonds ESM wurden bislang ausgezahlt – die Freigabe weiterer 10,3 Milliarden Euro wird an der deutschen Politik nicht scheitern: die vereinbarten Reformen seien „im wesentlichen“ umgesetzt, erklärte Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU). Auch Haushaltsexperte und Parteifreund Eckhardt Rehberg sieht keine ernsthaften Probleme mehr.

Schon im Mai hatten sich die Euro-Finanzminister und der Internationale Währungsfonds (IWF) auf einen Kompromiß geeinigt: Der IWF will sich am Kreditprogramm beteiligen – dafür wird 2018 über eine weitreichende Schuldenerleichterung gesprochen, um die Schuldentragfähigkeit Athens nach dem Auslaufen der stark subventionierten Hilfskredite sicherzustellen (JF 24/16). Das wäre dann de facto das vierte Hilfsprogramm – und wohlweislich hinter die Bundestagswahl 2017 gelegt.

Bereits 2012 kam es zu zwei Umschuldungen, die die Gläubiger insgesamt 150 Milliarden Euro kosteten. Zwar hat Griechenland bis 2022 keinerlei Zinsen und Tilgungen zu leisten, weshalb Finanzminister Wolfgang Schäuble eine Diskussion über neue Erleichterungen grundsätzlich ablehnte. Demgegenüber prognostiziert der IWF aufgrund der notwendigen Refinanzierung über risikoadäquate, höher verzinste Marktkredite eine Schuldenstandsquote von 250 Prozent für 2060, die jenseits jeder Schuldentragfähigkeit wäre.

Die mit dieser Vereinbarung eröffneten Anreizstrukturen lassen vermuten, daß Griechenland die Option Schuldenschnitt ziehen wird: Nachlassende Reformanstrengungen, unerfüllte Zusagen, keine Schuldentragfähigkeit, Schuldenerleichterungen 2018 auf Kosten der Euro-Steuerzahler. Allerdings: die neue Quadriga (EU, ESM, EZB, IWF) zahlt die derzeitigen Kredithilfen weitgehend an sich selbst, denn 78 Prozent der griechischen Staatsschulden liegen inzwischen bei den öffentlichen Gläubigern, also den Eurostaaten, Rettungsfonds, Europäischer Zentralbank und IWF.

Schuldenschnitt, Schuldenerleichterungen durch Zinssenkung, Tilgungsstreckung oder Laufzeitverlängerung; Restrukturierung – all diese Begriffe beschreiben eine Umschuldung, die die Ansprüche der Gläubiger entwerten. Ein Beispiel: Die griechischen Staatsschulden beliefen sich Ende 2015 auf 316 Milliarden Euro, bei einer durchschnittlichen Laufzeit von 20 Jahren und einem Durchschnittszins von 2,4 Prozent. Die Bundesrepublik Deutschland (Top-Rating: AAA) muß auf ihre Staatsschulden im Mittel 2,7 Prozent Zinsen zahlen – eine ökonomisch verkehrte Welt. Würde der Griechenlandzins auf 1,2 Prozent halbiert, käme dies einer Entschuldung in Höhe von 76 Milliarden Euro (entsprechend etwa einem Viertel) gleich.

Horrorszenarien für die deutschen Steuerzahler

Würde im Extremfall das Laufzeitende auf den Sankt-Nimmerleins-Tag gelegt und der Zins auf Null gesenkt, so hätten die Schuldpapiere keinerlei Wert mehr – ein hundertprozentiger Schuldenerlaß. Völlig bedeutungslos ist die konkret ergriffene Maßnahme jedoch nicht. Das europarechtliche Beistandsverbot (Art. 125 AEUV) untersagt einen formalen Schuldenerlaß, so daß derzeit eher Zins­erleichterungen und Laufzeitverlängerungen diskutiert werden. Gemäß dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) könnte allerdings jede Form der Schuldenerleichterung bei der EZB auf Hindernisse stoßen.

Und wie teuer wäre eine Restrukturierung der griechischen Staatsschulden für Deutschland? Vereinfachend wird ein pauschaler 50prozentiger Schuldenschnitt angenommen, der als Untergrenze gilt. Damit würden alle Gläubiger im Umfang von 180 Milliarden Euro im gleichen Maße getroffen. Dies ist keinesfalls selbstverständlich, weil sich beispielsweise die EZB 2012 über den Trick einer neuen Wertpapierkennummer für die von ihr gehaltenen Anleihen einer Umschuldung entzogen hat.

Konkret verteilen sich die Schulden wie folgt: Es entfallen auf die Rettungsfonds ESM/EFSF 154,8 Milliarden Euro, auf die Euroländer im Rahmen ihrer bilateralen Griechenlandhilfe 53,7 Milliarden Euro, auf den IWF 15,8 Milliarden Euro und auf die EZB 5,7 Milliarden Euro. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Anteile an diesen Hilfen summiert sich die deutsche Kredithilfe für Griechenland – abseits der Kosten für die Zinssubventionen – auf etwa 64 Milliarden Euro. Der Schuldenschnitt brächte demnach für Deutschland einen Verlust in Höhe von 32 Milliarden Euro.

Ein Großteil der Kosten des Kredit­ausfalls wäre in den Bundeshaushalt aufzunehmen. Die direkt ausgabenwirksamen Belastungen durch die Inanspruchnahme von Ausfallbürgschaften des ESM/EFSF und die bilateral ausgereichten Kredite würden zirka 28,5 Milliarden betragen. Die EZB wird ihre Wertberichtigungen entweder über niedrigere Gewinne ausweisen oder einen Verlustvortrag schieben. In jedem Fall entstehen im deutschen Etat wegen ausbleibender Gewinnüberweisungen über die Bundesbank Mindereinnahmen im Umfang von knapp drei Milliarden Euro. Die Verluste des IWF müßte Deutschland über einen Kapitalnachschuß mittragen, der den Haushalt über Minderzuweisungen der Bundesbank indirekt belasten würde.

Damit wären zum ersten Mal bisherige Beteuerungen der Bundesregierung widerlegt: Die Griechenlandrettung wird für die Steuerzahler teuer. Wahrscheinlich funktioniert das Ganze auch nicht ohne einen Euro-Austritt des Landes. Das langfristige Szenario einer akuten griechischen Staatsinsolvenz mit nachfolgendem Euro-Austritt, wie es im Sommer 2015 drohte, würde noch teurer: Geht man von einem völligen Ausfall der Anleihen aus und rechnet die kaum rückzahlfähigen ELA-Notkredite zur Bankenrettung auf Rechnung der Griechischen Nationalbank und die Target-Kredite aus Importüberschüssen und Euro-Kapitalflucht der Griechen hinzu, so wären die Lasten für Deutschland auf der Basis damaliger Daten auf 93 Milliarden Euro zu setzen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.