© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Eine unendliche Geschichte
Hauptstadtflughafen: BER-Untersuchungsbericht schont Aufsichtsrat / Sondervoten mahnen Haftung der Landespolitiker Wowereit, Platzeck und Henkel an
Christian Dorn

Seit CDU-Innensenator Frank Henkel eine „ordnungsgemäße und rechtssichere Wahl“ am 18. September garantiert hat, rechnen die Berliner mit dem Schlimmsten. Journalisten schreiben von einem „failed state“ – angesichts der Dauerbaustelle Hauptstadtflughafen BER, der mit 2,5 Milliarden Euro kalkuliert war und der bislang 6,6 Milliarden Euro verschlungen hat, scheint das nicht übertrieben.

Der nun veröffentlichte Abschlußbericht des vom Abgeordnetenhaus eingesetzten Untersuchungsausschusses zum BER-Desaster bescheinigt den Beteiligten ein „Verantwortungsvakuum“ und einen „kollektiven Wirklichkeitsverlust“. Die 1.269seitige Drucksache 17/3000 spricht vom „Bild eines Kollektivs, das trotz aller kritischen Anzeichen den unbedingten Glauben an eine rechtzeitige Fertigstellung teilte und die Möglichkeit einer Verfehlung des Inbetriebnahmetermins konsequent ausgeblendet hatte“.

Der Tagesspiegel spottete über die Flughafengesellschaft Berlin, diese erscheine wie „eine obskure Sekte, die sich von halluzinogenen Pilzen ernährt“. Doch letztlich leistet der Bericht keine „Aufklärung“, sondern ist bestenfalls „Persilschein und Anklage zugleich“. Das zeigt sich beispielhaft in der zurückhaltenden Kritik am bis 2014 Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).

Die kleine Sünden des Regierenden Bürgermeisters

In seiner Person versammelten sich die Zuständigkeiten als Regierungschef, Gesellschafter, Aufsichtsratsvorsitzender, Vorsitzender des Präsidialausschusses, Mitglied im Projektausschuß des Aufsichtsrates sowie als Sitzungsleiter der Gesellschafterversammlung – mehr Verantwortung ist kaum denkbar. Dennoch werden ihm nur kleine Sünden vorgeworfen, etwa wegen der von ihm betriebenen Festsetzung des 3. Juni 2012 als neuen Eröffnungstermin, nachdem die Inbetriebnahme am 30. Oktober 2011 verschoben werden mußte. Auch die Umplanung bei Fluggastbrücken zum Andocken der Großflieger A 380 wird dem einstigen SPD-Vize vorgeworfen. 

Die Kostenexplosion beim BER-Projekt ist angesichts von Hamburger Elbphilharmonie oder ICE-Bahnhof „Stuttgart 21“ keine Berliner Spezialität, doch daß bis heute kein Eröffnungstermin absehbar ist, ist wirklich einzigartig: Die erste Verschiebung liegt 13 Jahre zurück, damals wurde nach der gescheiterten BER-Privatisierung die geplante Eröffnung im Oktober 2007 abgesagt. Der zweiten Absage im Juni 2010 für die Eröffnung im Oktober 2011 folgten weitere. Inzwischen scheint auch der Eröffnungstermin Ende 2017 fraglich.

Bereits Anfang 2013 prognostizierte der BER-Kritiker Wolfgang Przewieslik in der JUNGEN FREIHEIT (5/13), daß mit einer Fertigstellung voraussichtlich nicht einmal bis 2017 zu rechnen sei. Peter Hess, Experte für Risikomanagement bei Großprojekten, nannte in einem Schreiben an die Manager als frühestmöglichen Termin den März 2018, realistischer sei 2019. Damit rechnet auch der Flughafenplaner Dieter Faulenbach da Costa.

Die Ausschußmitglieder von SPD und CDU verteidigen dennoch ihr ehemaliges Spitzenpersonal: „Seriöserweise kann in einem derart komplexen Projekt nur von einer Verflechtung geteilter Verantwortlichkeiten gesprochen werden.“ Diese Formulierung kommt einer Flucht aus der Veranwortung gleich: Statt Schuldige zu benennen, werden die Handelnden als „Kollektiv“ anonymisiert und faktisch freigesprochen.

Mangelhafte politische Aufsicht und Kontrolle?

Die wichtigste ungeklärte Frage des Berichts – der durch Sondervoten der Grünen, der Linken und des Ausschußvorsitzenden Martin Delius (ehemals Piraten) ergänzt wird – ist die nach der Haftung der Verantwortlichen. So schiebt der Mehrheitsbericht die Schuld hauptsächlich der Geschäftsführung zu, die den Aufsichtsrat hinsichtlich des Bauablaufs und der Kosten unzureichend unterrichtet habe. Tatsächlich aber hätte der Aufsichtsrat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht gehabt, hier Abhilfe zu schaffen, was er offenkundig versäumte. So erklärt Delius in seinem Votum, die Aufsichtsratsmitglieder Klaus Wowereit und Frank Henkel seien ihrer Verpflichtung zu einer tiefergehenden Aufsicht und Kontrolle der Flughafengesellschaft nicht nachgekommen, obgleich die von der Senatsverwaltung für Finanzen herausgegebenen Hinweise dies eindeutig erlaubt hätten.

Die Grünen fordern in ihrem Sondervotum, Regreßansprüche gegen die frühere Geschäftsführung und den Aufsichtsrat zu prüfen und die Finanzaufsicht einzuschalten. Dieser Punkt dürfte indes der heikelste sein. Ist es doch fraglich, ob die Landesrechnungshöfe von Berlin und Brandenburg sowie der Bundesrechnungshof tätig werden können. Der BER-Flughafenvertrag schließt Detailprüfungen explizit aus.

Untersuchungsbericht zur Aufklärung der Ursachen, Konsequenzen und Verantwortung für die Kosten und Terminüberschreitungen des im Bau befindlichen Flughafens BER:

 www.parlament-berlin.de