© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

„Es gibt in Deutschland keine ordentliche Finanzkontrolle“
Interview: Der langjährige Rechnungsprüfer Klaus Grün beklagt die mangelhafte Kontrolle der Steuergeldverwendung / Landesrechnungshöfe zahnlos?
Christian Dorn

Der längste Eisenbahntunnel der Welt, der Gotthard-Basistunnel in den Schweizer Alpen, wurde am 1. Juni vorfristig eröffnet. Die Baukosten von 12,2 Milliarden Franken blieben im Planungsrahmen. Deutsche Großbauprojekte werden nur mit jahrelangen Verzögerungen fertig – bei exorbitanten Kostensteigerungen. Wer trägt hierfür die Verantwortung?

Grün: Ausschlaggebend sind hierfür die Strukturen der gesamten Finanzkontrolle in Deutschland, die nicht im Interesse des Gemeinwohls sind. Die Rechnungshöfe sind faktisch politische Behörden. Deren Präsidenten gehören meist einer Partei an. Ein wirklich unabhängiges Prüfungswesen unserer Steuergelder ist so kaum möglich. Allein dieser Umstand hat natürlich Einfluß auf Großprojekte.

Parteilose sind aber nicht immer besser...

Grün: Ja, aber auf den obersten Ebenen der Rechnungshöfe fehlt es auch an Fachkompetenz. Zwei Drittel müssen Juristen sein, keine Finanzkontrolleure. Die oberste Ebene wird von den Parlamenten bestimmt, die zugleich für die Personalpolitik in ihren Rechnungshöfen zuständig sind. Das kommunale Prüfungswesen eine Mixtur aus jahrzehntelanger Reformunwilligkeit, Machtmißbrauch, Unwissenheit, Besitzstandswahrung, Volksverdummung, Unbelehrbarkeit und Geldverschwendung.

Was müßte geändert werden?

Grün: Es gibt in Deutschland keine Uni oder Fachhochschule, die hochqualifizierte Finanzrevisoren ausbildet. Das Grundgesetz sichert die Finanzhoheit der Länder – über die Finanzkontrolle können die Politiker selbst entscheiden. Die Rechnungshöfe sind formal unabhängige Staatsbehörden – aber wenn Sie mit Steuermilliarden finanzierte Großprojekte wie die Elbphilharmonie, das Paulinum in Leipzig oder den BER nicht prüfen, dann verfehlen sie eigentlich ihre verfassungsrechtliche Hauptaufgabe.

Wenn Schüler ihrem Lehrer ein 30-Euro-Geschenk machen wollen, müssen sie es der Schulleitung anzeigen. Beim BER flossen Milliarden ohne Kontrolle?

Grün: Beim Flughafenprojekt BER ist die umfassende Finanzkontrolle von vornherein ausgeschaltet worden. Bei „Stuttgart 21“ ist dies ähnlich. Bei der Elbphilharmonie hat der Rechnungshof nicht geprüft mit dem Argument, die Hamburger Bürgerschaft habe doch einen Untersuchungsausschuß gebildet. Beim BER wäre zu fragen: Wer hat diesen Gesellschaftervertrag verfaßt? Wer hat da diese Paragraphen untergebracht, die die Prüfungsrechte der drei zuständigen Rechnungshöfe (Bund, Berlin, Brandenburg) auf die Dienststellen in den Finanzministerien beschränken? Der BER-Untersuchungsbericht geht an keiner Stelle darauf ein.

Die Panama-Papers werden als „Meisterstück des investigativen Journalismus“ gefeiert. Warum gibt es bei der deutschen Steuergeldkontrolle keine Spürnasen?

Grün: Keiner hat sich etwa die Mühe gemacht, die Gesellschaftsverträge zu lesen. Die Medien, die angeblich „vierte Staatsgewalt“, haben hier einfach versagt.

Hat auch der Steuerzahlerbund versagt?

Grün: Dessen „Schwarzbuch“ bezieht sich auf die Rechnungshöfe, mit denen der BdSt zusammenarbeitet. Daher hört man bezüglich BER oder Elbphilharmonie kaum Substantielles. Und in Rheinland-Pfalz ist der neue BdSt-Präsident jemand, der mit dafür verantwortlich war, daß es in Deutschland keine ordnungsgemäße Kontrolle der Steuergelder gibt: Rainer Brüderle, langjähriger FDP-Funktionär und Wirtschaftsminister.






Klaus Richard Grün arbeitete bei der Finanzrevision Leipzig und als Rechnungsprüfer im kommunalen Prüfungswesen in Sachsen. Sein Erfolgsbuch „Finanzrevisor Pfiffig aus der DDR“ (Engelsdorfer Verlag 2012) wurde 2015 zusätzlich als Hörbuch veröffentlicht.

 

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