© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Der Keltenfürst trägt eine Mistelblattkrone
Archäologische Sensation: Vor zwanzig Jahren wurde auf dem hessischen Glauberg ein frühkeltischer Grabhügel entdeckt
Wolfgang Kaufmann

Bis vor etwa sechs Jahrzehnten wußte man über die Kelten, also die eisenzeitlichen Volksgruppen, welche zwischen dem 8. Jahrhundert v. Chr. und der Zeitenwende weite Teile Europas nördlich der Alpen besiedelten, sehr viel weniger als über Römer und Germanen, obwohl die Kelten ebenfalls ein bemerkenswert hohes kulturelles Niveau erreichten. Dann jedoch entdeckten Archäologen 1953/54 im Norden Burgunds und im Saarland zwei reich ausgestattete Gräber von keltischen Fürstinnen; kurz darauf erbrachten zudem die zeitgleich laufenden Ausgrabungen im Umfeld der Heuneburg zwischen Ulm und Sigmaringen das Ergebnis, daß hier vor 2.600 Jahren eine frühkeltische Siedlung gestanden hatte, in der bis zu 10.000 Menschen lebten, womit die definitiv älteste Stadt auf deutschem Boden lokalisiert werden konnte.

Das Keltenkreuz taugt nicht als Symbol

Damit war der erste wichtige Grundstein für die „Keltenmanie“ gelegt, die insbesondere während der achtziger Jahre, nach diversen weiteren spektakulären Entdeckungen, auch manche seltsame populärkulturelle Blüte hervorbrachte – man denke da nur an solche Dinge wie die „Keltenwurst“, das „Keltenbier“ oder die „Keltenhoroskope“. Außerdem entdeckten grün angehauchte Esoteriker nun das „Umweltbewußtsein“ der Kelten: In ihrer Spiritualität seien Seele und Land zusammengeflossen, weswegen sie ganz eigene Techniken für den achtsamen, ressourcenschonenden Umgang mit der „Mutter Erde“ entwickelt hätten.

Allerdings fehlte noch ein wirkmächtiges Symbol für das keltische Teilerbe der Deutschen, denn das sogenannte Keltenkreuz taugt hierzu nicht. Zum einen entstammt es der frühmittelalterlichen sakralen Kunst und nicht der eigentlichen Keltenzeit, zum anderen wurde es von rechtsextremen Gruppierungen wie der 1982 verbotenen Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands (VSBD) vereinnahmt, was zu einer Strafbarkeit seiner – auch isolierten – öffentlichen Verwendung führte, wie der Bundesgerichtshof (BGH) im Oktober 2008 urteilte (3 StR 164/08).

Vor diesem Hintergrund geriet es zum Glücksfall sondergleichen, daß der Heimatforscher Werner Erk im Juni 1988 bei Erkundungsflügen über dem Südhang des Glauberges in der Wetterau die Reste zweier prähistorischer Grabhügel von rund 50 Metern Durchmesser entdeckte. Daraufhin nämlich führte das hessische Landesamt für Denkmalpflege ab 1994 systematische Ausgrabungen durch, in deren Verlauf am 24. Juni 1996, das heißt vor nunmehr zwanzig Jahren, die Statue des sogenannten „Keltenfürsten vom Glauberg“ zutage kam. Hierbei handelt es sich um eine 1,86 Meter hohe und 230 Kilogramm schwere, vollplastische Figur aus einheimischem Buntsandstein. Ihr Alter wird anhand bestimmter typischer Stilmerkmale auf rund 2.450 Jahre geschätzt – sie entstammt also der Frühphase der Latène-Zeit, in der die Kelten mediterrane und osteuropäische Kulturelemente adaptierten. So prangt der Fürst als gepanzerter Krieger mit Schild und Schwert sowie muskulösen Beinen und Kinnbart; dazu trägt er eine charakteristische Mistelblattkrone, welche den Eindruck vermittelt, als ob der prähistorische Herrscher mit riesigen Micky-Maus-Ohren ausgestattet gewesen sei.

Obwohl unsere keltischen Vorfahren mit dem Fürsten vom Glauberg nun somit ein ganz konkretes, faßbares Gesicht bekommen haben, ist das Verhältnis zu den Kelten hierzulande immer noch problembehaftet, was sich unter anderem im fast völligen Fehlen der keltischen Geschichte in den Curricula von Schulen und Universitäten manifestiert. Dies resultiert nicht zuletzt aus der Wertschätzung, welche die Nationalsozialisten den Kelten entgegenbrachten. So sammelte der Reichsführer SS Heinrich Himmler voller Leidenschaft keltische Artefakte und sorgte ab 1936 für den engen Schulterschluß zwischen der Schutzstaffel und der Deutschen Gesellschaft für keltische Studien; dazu kam dann im Juni 1942 noch die Etablierung einer Abteilung für „Keltische Volksforschung“ in der SS-eigenen Lehr- und Forschungsgemeinschaft „Deutsches Ahnenerbe“.

Wie sehr dieser Umstand die derzeitige Wahrnehmung der eisenzeitlichen Völkergemeinschaft prägt, konnte man zuletzt im Mai 2011 studieren, als es bei der Einweihung des neuen „Keltenwelt“-Museums am Glauberg in Anwesenheit des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und mehrerer hundert geladener Gäste zum sogenannten „Nazi-Kelten-Skandal“ kam: Nach Berichten der Bild-Zeitung, die sofort durch alle Medien geisterten, seien zwei der für diesen Anlaß engagierten Wachmänner der Gederner Sicherheitsfirma Huth & Groß früher Mitglieder der NPD gewesen und hätten sich aufgrund ihres Faibles für die heidnischen und damit antichristlich-antijüdischen Kelten berufen gefühlt, als uniformierte Ehrenwache zu seiten des „Fürsten vom Glauberg“ zu posieren!

Daraufhin warnte der Marburger Politikwissenschaftler und Leiter der Landeskoordinierungsstelle des Beratungsnetzwerkes gegen Rechtsextremismus, Reiner Becker, in grotesk alarmistischer Weise davor, daß der Glauberg künftig zu einer Wallfahrtsstätte für Neonazis mutieren könne. Gleichzeitig versuchte die Museumsleiterin Katharina von Kurzynski eiligst, in das Konzept der Keltenausstellung noch einige „Präventionselemente zur Vorbeugung gegen rechtsextremes Gedankengut“ einzubauen, was ihr jedoch nichts mehr nutzte: wegen des Vorwurfs der Mitverantwortung für den „Skandal“ mußte sie die Leitung des Museums noch vor Ablauf des Monats seiner Eröffnung an die stellvertretende hessische Landesarchäologin Vera Rupp abgeben.

Verbreitung zwischen Atlantik und Balkan

Ansonsten leidet die Wahrnehmung der Kelten aber auch darunter, daß sie fast keine Schriftzeugnisse hinterlassen haben. Das macht es schwierig, ihre Religion und Mythologie sowie ihre Auffassungen von Recht, Gesellschaft und Politik zu verstehen. Darüber hinaus lassen sie sich auch kaum zu Vorläufern beziehungsweise Begründern heutiger Nationen hochstilisieren, denn die Siedlungsgebiete der einzelnen keltischen Ethnien decken sich nur höchst unzureichend mit den Territorien späterer Nationalstaaten.

Dahingegen kann man die Kelten wegen ihrer weiten Verbreitung im Raum zwischen Atlantik und Balkan mit gutem Recht als frühe Europäer bezeichnen. Aber das reicht manchen Opportunisten und Fördergeldjägern in der Historiker- und Archäologenzunft nicht aus: Sie gehen gleich so weit, im Kosmos der Kelten einen Vorläufer der Europäischen Union zu sehen. So zog der Wiener Vorgeschichtler Otto Helmut Urban 2013 haarsträubende Parallelen zwischen der EU und dem keltischen Stammeskonglomerat. Dabei standen die Kelten doch für genau die politisch-kulturelle Heterogenität, welche den Brüsseler Bürokraten ein Dorn im Auge ist, weil sie ihre Bemühungen um Gleichmacherei und Zentralisierung konterkariert.

Keltenwelt am Glauberg, 63695 Glauburg, Telefon: 0 60 41 / 82 33 00. Öffnungszeiten: Täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet 7 Euro (ermäßigt 5 Euro).

 www.keltenwelt-glauberg.de





Keltengräber in Stuttgart

Dreizehn frühkeltische Prunkgräber des 7. bis 5. Jahrhunderts v. Chr. bilden die Grundlage für den Ausstellungsteil zur frühkeltischen Elitekultur der Sammlung „Wahre Schätze. Antike, Kelten, Kunstkammer“, die seit Mai im Landesmuseum Württemberg gezeigt wird. Zu den Höhepunkten gehören unter anderem das Grab des Keltenfürsten von Hochdorf mit einer von acht weiblichen Figuren getragenen bronzenen Sitzbank, ein vierrädriger Prunkwagen, riesige Trinkgefäße, Töpfe und Schalen sowie Goldfunde. Die Schausammlung im Alten Schloß in Stuttgart, Schillerplatz 6, ist täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen.

 www.landesmuseum-stuttgart.de