© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

20 Jahre Quote haben nichts gebracht
Medienpolitik: Frankreich senkt die Vorgaben für Sender, französischsprachige Musik auszustrahlen
Katharina Puhst

Mit dem Aufruf „Rühr ja nicht meine Quoten an“ haben 1.800 französische Künstler der Musikszene – darunter Charles Aznavour, Francis Cabrel und Carla Bruni – eine Petition gestartet. Aber auch Schriftsteller wie Erik Orsenna und Justine Lévy, Jean Plantureux, der bekannte Karikaturist der Tageszeitung Le Monde, sowie Regisseure unterstützten die Aktion. Auf dem Spiel stehen die Rettung und der Erhalt der Quote, die seit 1996 privaten und unabhängigen Radiosendern in Frankreich die Ausstrahlung von 40 Prozent frankophoner Musik vorschreibt. Dadurch eingeschränkt, reklamieren die Sender seit Monaten eine Senkung der Quote bis hin zu ihrer Aufhebung. Im März hatte die Regierung schließlich einer Senkung des Kontingents zugestimmt. Audrey Azoulay, Ministerin für Kultur und Kommunikation, bietet als Kompromiß eine Verringerung auf 35 Prozent an, insofern die Sender sich zu 45 Prozent Neuheiten verpflichten und keinen Titel mehr als 150mal pro Monat spielen, sprich fünfmal täglich. Derzeit sind aber manche Stücke bis zu zwölfmal am Tag zu hören. Azoulay verspricht sich davon eine größere „musikalische Vielfalt“, während Gaël Sanquer, Direktor von NRJ, genau darin eine „Gefahr, eine Vormundschaft über unsere Programme“ sieht.

Im Zeitalter von Youtube und Spotify nicht haltbar

In der heutigen Zeit, in der Internetplattformen wie Youtube, Spotify und Deezer keiner Quote unterliegen und jedem Nutzer uneingeschränkten Zugriff auf englische Titel ermöglichen, seien 40 Prozent Musik in der eigenen Nationalsprache nicht mehr umsetzbar, klagen die Sender Fun Radio, Skyrock, Virgin und RTL 2, deren Zielpublikum vornehmlich 15- bis 30jährige sind. 

Jeder sollte hören können, was er will, reklamierte Sanquer und verwies zugleich auf die Hinfälligkeit eines Gesetzes, das vor dem Internetzeitalter verabschiedet wurde, als die französische Produktion „noch wichtiger war. Heute ist sie untergegangen“. Tatsächlich ist die Ausstrahlung neuer französischer Titel von 2009 auf 2015 um 47 Prozent gefallen. Erschienen 2003 noch 718 frankophone Alben neu, so lag 2015 die Zahl bei 251 Exemplaren. Dabei stammten 17 der 20 meistverkauften Alben von Franzosen, von denen 16 in französischer Sprache sangen.

Trotzdem bieten die Radiosender wenig Abwechslung. Für das Erfüllen der Quote greifen sie auf zehn Titel zurück, die pausenlos abgespult werden. Dem Marktforschungsinstitut Yacast zufolge war 2014 der Sender NRJ hierin führend: 74,3 Prozent des französischen Programmteils beruhten auf zehn sich immer wiederholenden Titeln. Neue Talente gelangen somit nur schwer zum Publikum oder bleiben gar unbekannt.

Dem setzt der Chef von NRJ entgegen, daß es dem „Beinbruch eines Athleten in der Halbzeit“ gleichkäme, würde die Wiederholung eines erfolgreichen Titels gebremst oder nach oben hin beschränkt. Schließlich hängt davon die Vermarktung eines Musikstücks ab. Nur wenn ein Musikstück entsprechend präsentiert werde, könne daraus ein Hit hervorgehen, beteuerte Sanquer.

Allerdings könne es in keiner Weise „freiheitsfeindlich“ sein, zwei oder drei französische Musikstücke im Monat mehr zu spielen, mahnte Fleur Pellerin, ehemalige Ministerin für Kultur und Kommunikation, in einem Interview mit dem Radiosender France Inter. Auch die Chanson-Sängerin Juliette mißbilligt die „Dauerbeschallung“ durch gewisse Musikstücke, die „erschreckend und kontraproduktiv“ ist und auf eine „Dressur“ hinausläuft.

Mit englischen Liedern zum internationalen Star

Eine größere Vielfalt hätte nur eine Erweiterung der Playlisten zur Folge, bemängelte Sanquer in einem internen Schreiben, das von dem Kulturmagazin Télérama veröffentlicht wurde. Ins Programm müßten neue französische Titel aufgenommen werden, „von denen wir wissen, daß sie nicht gut und vom Publikum abgelehnt sind“. Entscheiden sich deshalb immer mehr französische Musiker dafür, auf englisch zu singen? Eine Statistik des Instituts Observatoire de la Musique, das regelmäßig Analysen der Musikindustrie publiziert, bestätigt, daß 83 Prozent der französischen Neuheiten in englischer Sprache gesungen sind. Dazu zählen die Musiker Sébastien

Tellier, AaRON, Christina and the Queens, Daft Punk. Sie alle knüpfen ihren internationalen Erfolg an die englische Sprache.

Gerade aufgrund der Quote seien viele frankophone Künstler international bekannt, betonten die Unterstützer der Petition. Ohne das Kontingent wäre die französische Produktion niedergewalzt worden. Letztlich müßten ebenfalls die Hörer vor dem „kulturellen Stillstand“ bewahrt werden, unterstrich Jean-Noël Tronc, Direktor der Société des auteurs et compositeurs de musique (Sacem), einer Lobbyorganisation von Musikern.

In Deutschland gibt es, trotz zahlreicher Debatten, keine festgelegte Quote. Der Deutsche Bundestag sprach sich 2004 für 35 Prozent deutsche Musik im Radio aus, doch folgten die Sender der Selbstverpflichtung nicht.