© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Lesereinspruch

Moralisch äußern

Zum Kommentar „Moralische Anmaßung“ von Thorsten Hinz (JF 24/16)

Unverständlich ist mir, warum Thorsten Hinz es für eine moralische Anmaßung hält, wenn der Deutsche Bundestag dem zu einem großen Teil grausamst ermordeten Volk der Armenier den Wunsch erfüllt, sein Leiden wenigstens anzuerkennen. Gibt es so etwas wie „moralische Anmaßung“ überhaupt? Gibt es den Fall, daß einem Moral nicht zusteht? Wann wäre denn Moral erlaubt und wann nicht?

Hinz meint, daß der Bundestag „der Türkei den Umgang mit ihrer Geschichte“ vorschreibe. Erstens ist eine Resolution keine Vorschrift, sondern allenfalls eine Ermahnung oder ein Appell, und zweitens, wo kämen wir hin, wenn sich unser Parlament nicht mehr zu moralischen Fragen in anderen Ländern äußern dürfte. Wollen wir egoistische, wirtschaftsnationalistische Politik machen ohne Rücksicht auf Moral und Menschenrechte? Auch ohne Rücksicht auf die Kurden, die nun wieder – wie seit hundert Jahren – hinnehmen müssen, daß wir zu ihrem Schicksal schweigen, damit Erdogan uns die Flüchtlinge und dadurch auch Frau Merkel ihre Kritiker vom Hals hält? 

Hans Haußmann, Wolfschlugen