© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Pankraz,
das Kopftuch und die Diktatur der Mode

Scharf gezielt, total daneben geschossen. Mit Pathos wehrt sich die Kulturredakteurin Brigitte Werneburg in der Berliner tageszeitung gegen die Beflissenheit der hiesigen Kleiderverkäufer, die gerade dabei sind, das durch die islamischen Immigrantenströme jetzt häufig zu sehende Kopftuch zu einer „ganz gewöhnlichen Mode“ schönzureden. Das sei, so Werneburg, nichts weiter als ein mieser Geschäftstrick der Modelabels und Textilunternehmen, um sich neue Geschäftsfelder zu erschließen. 

Islamische Frauen würden ja durch religiöse Traditionen faktisch zum Tragen von Kopftüchern oder Burkas gezwungen, die „Mode“ hingegen sei ein Instrument der Freiheit. Sie sei „aus dem Geist der Moderne“ geboren worden, sie ermuntere dazu, „mit Tracht und Tradition zu brechen, mit Stand und Rang und mit dem christlichen Gebot, daß die Frau ihre Beine nicht zeigen darf. Mode bestreitet die Geltung religiöser, gesellschaftlicher und politischer Kleidervorschriften.“

Nun kann man bekanntlich Zwänge und Zwangssituationen aus vielerlei Gründen bestreiten, nicht nur um Freiheitsräume zu schaffen, sondern auch und nicht zuletzt, um seinen eigenen Zwang an die Stelle des bestrittenen zu setzen. Genau das ist bei der Mode der Fall. Sie ist kein Instrument der Befreiung, sondern selbst der größte Diktator. Und sie entsprang auch nicht dem Geist der Moderne, sie ist viel älter, uralt. Schon die Damen im alten Ägypten vor viertausend Jahren haben unter ihrem Zwang geseufzt, wie Hieroglyphenbilder aus der elften Dynastie nahelegen.


Der Mode entkommt keiner“, sinnierte kürzlich der Modezar Karl Lagerfeld, „denn auch wenn Mode aus der Mode kommt, ist das schon wieder Mode“. Niemand vermag zu definieren, was Mode eigentlich ist, aber alle unterwerfen sich ihr. Als während der 68er-Zeiten extrem kurze Röcke modisch wurden, bequemten sich auch solche Damen zu dieser Mode, deren Beinform oder Beinumfang eher nahelegte, einen etwas längeren Rock zu wählen. Sie wählten dennoch den kurzen, trotz des Gekichers, das sie damit provozierten, trotz der sich vermindernden Attraktionschancen.

Wir haben es mit einer offenbar unvermeidlichen fatalen Dialektik zu tun: Mode beginnt immer als eine Art Ich-Steigerung, als Auftrumpfung und Individualisierung – und endet  regelmäßig als Ich-Knebelung, als frenetisches Nachahmen, als Anpassung zum eigenen Nachteil. Und es geht dabei keinesfalls nur um Rocklängen, es geht um Formen der Geselligkeit, der Wohnkultur, der sozialen Repräsentation. In keinem dieser Lebensbereiche ist es möglich, sich ohne schwere Risiken für das eigene Ich gegen die Mode zu stellen. Das gilt für alle Schichten und Personen einer Gemeinschaft. 

Was aber macht die Mode so mächtig, was verleiht ihr diese Kraft? Manche Modemacher (nicht Lagerfeld) versuchen uns einzureden, daß sie, die Macher selbst und ihre Branche, dem Prinzip der Neuheit verschwistert seien, daß sie dem Fortschritt dienten. Nichts ist falscher. Ein einziger Blick auf „neue“ Kreationen genügt, um zu erkennen, daß da lediglich immer wieder alte Hüte neu aufgedampft werden. Es ist nichts weiter als ein ewiges Zitieren und Wiederaufwärmen, ein Déjà-vu und „Das hatten wir doch schon mal“.

Wirkliche Neuerungen werden gerade von der Modebranche mit Penetranz ignoriert und links liegengelassen. Nur mit Widerwillen nähert sie sich solchen Neuerungen, erst wenn es sich gar nicht mehr umgehen läßt. Und dann versucht sie regelmäßig (und stets erfolgreich), die Neuerung zu kaschieren, ihr irgendeinen „Look“ zu verpassen, der beim Publikum den Déjà-vu-Effekt auslöst. Autos wurden von ihr lange Zeit als Pferdekutschen ohne Pferde gestylt, neue Stoffe so lange appretiert, bis sie „wie Seide“ glänzten oder sich „wie Naturwolle“ anfühlten. Wie man’s auch wendet: Die Mode ist ein durch und durch reaktionäres Medium.


Man kann das auch daran erkennen, daß die Moden immer dann am schnellsten wechseln, sich die einzelnen „Trends“ immer dann buchstäblich auf die Füße treten, wenn ein gesellschaftliches Klima besonders stickig geworden ist, wenn in Wirklichkeit „nichts mehr läuft“ und die jeweils herrschenden Schichten wie unter der Käseglocke vor sich hinmurmeln. Dann, wie gesagt, kommt die Stunde der Modemacher. Ihre Faxen haben etwas Verzweifeltes. Sie bedienen nicht den kecken Übermut, sondern die Angst.

Es ist unübersehbar: Die Gesten der Mode sollen letztlich die Angst überspielen, die Angst, nicht mehr dazuzugehören, lebendig aus der Welt herauszufallen. Die Angst soll gleichsam durch Schminke zugedeckt werden. Stärkere Gemüter haben stets viel gegen „bloße“ Moden einzuwenden gehabt, so im 18. Jahrhundert (dem Jahrhundert der Supermoden, der Reifröcke und Chinoiserien) Friedrich Schiller, der die vielen aufdringlichen Differenzierungen der damaligen Mode als Schein und als diktatorischen Zwang durchschaute und dafür plädierte, das wiederherzustellen, „was die Mode streng geteilt“.

Seine Verse haben bekanntlich in Beethovens neunte Symphonie Eingang gefunden und wurden so zum Text der „Europahymne“. Womit wir wieder im Jahre 2016 und bei dem Text von Frau Werneburg wären. Die Kopftücher, die Burkas und alles übrige, was damit zusammenhängt, widersprechen der Mode nicht, wie Werneburg schreibt, sondern sie passen nur allzu genau zu ihr. Indem man den islamischen Lebensstil zur „Mode“ erklärt, drückt man aus, daß man ihm nicht entgehen kann, daß man sich ihm lieber rechtzeitig anpassen sollte, um nicht isoliert und eines Tages vielleicht sogar einen Kopf kürzer gemacht zu werden.

Mit Europa hat derlei modisches Angstgezappel nichts zu tun, zumindest nichts mit der in Schillers Ode besungenen „Freude“, jener von Gott gestifteten Lebens- und Überlebensfreude, der „Tochter aus Elysium“, die laut der Europahymne unabdingbar zur Idee Europas dazugehört und allein dessen Existenz zu garantieren vermag, in welcher Form auch immer.