© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn


Für den Engländer, Betreiber des Barbiershops um die Ecke, ist der Brexit noch kein Thema. Er berichtet, wie einst sein Vater im Landhaus Paul McCartneys, in der südostenglischen Grafschaft Sussex, im Dachgeschoß Vermessungsarbeiten ausführte. Dabei sei er durch ein Loch im Deckenboden gefallen und in der Küche gelandet, direkt neben dem Hausherren, der gerade seinen Tee zubereitete.


Nicht zur Teatime, vielmehr mit vierzig Minuten Verspätung, da die Sonne dem Horizont entgegensinkt, erscheint der Popheilige Paul McCartney auf der Waldbühne, als zugleich einzig autorisierter Nachlaßverwalter der einflußreichsten Band aller Zeiten, die alles verändern sollte. Daß Ringo Starr dieser Tage mit seiner All-Starr-Band durch Nordamerika tourt, ändert nichts an diesem Status. Den Auftakt bildet „A Hard Day’s Night“ mit einem der berühmtesten Akkorde der Rockgeschichte. Vor den 22.000 Besuchern erscheint der fast 74jährige Ex-Beatle in Jeans und Dinnerjacket wie ein „Dorian Gray des Pop“ (Berliner Morgenpost).


Das dreistündige Konzert, darunter zahllose Beatles-Klassiker, spielt er in ökonomischer Perfektion „herunter“. Dies erklärt sich auch daraus, daß McCartney mit seiner Band inzwischen länger musiziert als mit den Beatles oder den Wings. Dabei erscheinen diese Lieder, als Teil des Weltkulturerbes, inzwischen fast größer als er selbst, als könne er sie manchmal „nur“ nachsingen, als seine eigene, aber dafür originale Beatles Revival Band. Bei „Back in the U.S.S.R.“ berichtet McCartney, der als erster westlicher Musiker auf dem Roten Platz gespielt hat, wie ihm hinter der Bühne der russische Verteidigungsminister gebeichtet habe, seine erste Platte sei „Love Me Do“ gewesen – dabei spricht McCartney das „do“ wie ein „too“. Dieser Witz setzt sich fort, als ein Vater mit Sohn aus Japan, knallbunte Uniformen des Sgt. Peppers Albums tragend, plötzlich auf die Bühne gebeten werden, wo Paul McCartney dem Sohn ein Attest ausstellt für eine Studienreise in Geschichte, Sprache und Musik.


Den Song „Blackbird“, erklärt McCartney am Abend, habe er in den sechziger Jahren für die Bürgerrechtsbewegung in den USA geschrieben. Die osteuropäischen Besucher neben mir lachen kurz. Doch das Lied berührt in seiner Poetik ungemein. Vor der Zugabe verabschiedet sich der Ex-Beatle mit britischer und deutscher Flagge. Zurück kommt er mit der Regenbogenflagge, im Gedenken an die Opfer von Orlando, und spielt sein „Yesterday“. Doch das ist noch lang nicht „The End“, mit dem das Konzert dann wirklich endet.