© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Ingenieure der Seelen
Kino: Der isländische Dokumentarfilm „InnSæi – Die Kraft der Intuition“
Sebastian Hennig

In ihrem Dokumentarfilm „InnSæi – Die Kraft der Intuition“ geben zwei Kulturschaffende vor, auf ihrer Reise um die Welt tiefe Einblicke zu vermitteln. Zur Bewertung ihres Versuches kann es helfen, den Unterschied zwischen Kulturträgern und Kunstträgern zu machen, auf den Gottfried Benn einmal hinwies. Die Regisseurinnen Hrund Gunnsteinsdottir, die auch Autorin, und Kristín Ólafsdóttir, die zudem Produzentin des Films ist, haben an der London School of Economics studiert. Kunstschaffender wird man dort wohl nicht, Kulturschaffender möglicherweise schon.

Gleich zu Beginn berichtet Gunnsteinsdottir von ihrer Bilderbuchkarriere, die planmäßig auf eine Festanstellung bei der Wirtschaftskommission der UN in Genf zulief. Sie war für einen Entwicklungsfonds im Kosovo-Krieg unterwegs. Ihr Selbst- und Sendungsbewußtsein wurde an den dortigen Verhältnissen ramponiert. Das Erlebte setzte ihr so zu, daß die 29jährige ihren sicheren Posten 2004 kündigte, um eine künstlerische Aufarbeitung der belastenden Erfahrungen anzustreben. Seither schreibt sie nun Theaterstücke und macht in Kunst.

Die Krise hat offenbar keine wirkliche Einkehr, sondern eher eine Modifikation ihres Handelns bewirkt. In der großen Ausbeutungsmaschinerie hat sie nur das Büro gewechselt. Planmäßig, aber ohne eigenen inneren Halt soll weiterhin die mangelhafte Welt zum Guten gewendet werden. Dafür, daß sie ihre vorige Tätigkeit mit veränderten Mitteln fortführt, wurde sie 2011 als „Young Global Leader“ geehrt.

Für Intuition steht das isländische Wort „InnSæi“, in dessen etymologische Wurzel die See anklingt. Diese kraftvolle Mehrdeutigkeit fehlt den Regisseurinnen, weil ihnen die zuversichtliche Gelassenheit abgeht. Bei ihnen ist weniger von der antiken Seelenruhe die Rede als von der modernen Work-Life-Balance.

Mit einer übergriffigen Bildästhetik, schnellen Schnitten im Takt der Musik und starken Farben ist ein Reklamefilm für ein besseres, von Weisheit erleuchtetes Leben entstanden. Doch Lavendelblüten und türkisblaues Meer sind längst von der Werbebranche entdeckt worden. Högni Egilsson von der isländischen Kapelle Hjaltalín singt unter dem Kamin einer großen Höhle, aus der Wasser herabrieselt. Wache Intuition wird dem blinden Pragmatismus gegenübergestellt, so wie ein effektives Waschmittel auf verdreckte Monteurskleidung trifft. Es geht dabei um die zwei Hirnhälften, den Respekt vor dem Weiblichen und Achtsamkeit auf die Natur, aber immer wieder auch um Ressourcen, Training und Optimierung. Bill George, Professor an der Harvard Business School bemerkt, daß allein mit analytischem Denken keine Wirtschaft läuft. Die Ausbeutung wird hier nicht beschränkt, sondern aufs äußerste verfeinert.

Die Filmemacherinnen besuchen einige dieser neuartigen Ingenieure der Seele. Bezeichnend ist es, daß sie ihre tiefschürfenden Erkenntnisse mit einem Warenzeichen schützen. Marti Spiegelmans schamanische Lichterfahrung und Tan Les Hirnstromaufzeichner, alles ist käuflich für jedermann, der die Summe aufbringt. Alle leben sie im Westen und leben zugleich ganz gut von dessen Überdruß an sich selbst. Die Dominanz der westlichen Ideologie prägt den ganzen Film und leitet auch die Auswahl der Protagonisten. Die Schamanin dient die Weisheitslehre in Seminaren der Geschäfts- und Finanzwelt an. Ein wirklich weiser Mann würde über die völlig erkenntnisfreie Verkettung von Aberglaube und Experiment in Gelächter ausbrechen, welche in dem tragbaren Gerät zur Messung des Hirnstroms zum Ausdruck kommt, das die Australo-Vietnamesin Tan Le in San Francisco entwickelt hat. Mit bloßen Gedanken kann man da den Verlauf eines Trickfilms steuern. Das soll nun die Laufbahn sein, auf der wir aus dem Höllenkreis des Kalküls herauskatapultiert werden.

Böse Computerspiele werden als Gegenwelt zu den Lichtseiten der Rechner und Monitore herangezogen. Die hier zu Wort kommen, haben alle, einschließlich der Filmemacherinnen, ein Geschäftsmodell. Diese Seelenklempner im Freistil öffnen nicht den Weg zum seelischen Reichtum der Menschen. Sie geben ihn preis, indem sie ihm einen Preis geben. Auch die Kunst unterscheidet sich nicht von den Rollenspielen, mit denen die Leistungs- und Teamfähigkeit von Managern angehoben werden soll. Gezeigt wird, wie sich die Massen zu Marina Abramovics Kunstaktion „The Artist Is Present“ drängen, um von ihr für einen Moment wahrgenommen zu werden. Wie ein riesiger Boxring ist das Viereck um die zwei Stühle mit Seilen abgesperrt. Da fließen schon mal Tränen, wenn die unheimliche Frau im weißen Kleid mit dem schwarzen Zopf ihr gesenktes Haupt dem Gegenüber zuwendet, bedeutungsvolle Leere im Blick. Nach dem Ende der Performance klatschen dann alle Beifall.

Der aus Burkina Faso stammende Häuptling Malidoma Patrice Somé weiß, was die weißen Nordmenschen von ihm hören wollen. Er redet darüber, wie der westliche ausbeuterische Zugriff die Einheit mit der Natur gestört und den Zugang zur inneren Welt verloren habe. Das ist natürlich nicht falsch. Es klingt aber mit einem falschen Ton an. Wie könnte der Film auch anders reden, wo er doch viele Leute erreichen will. Das New Age, die neue Ära des Bewußtwerdens, wirkt inzwischen sehr altmodisch. Es ist viel rechthaberisches Gerede dabei. Vor allem aber ist es ein Ablenkungsmanöver, um auf verschlungenen Wegen den klaren Entscheidungen des Lebens aus dem Weg zu gehen.