© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Onkel Willy war nicht bestechlich
US-Gelder im Kalten Krieg: Die Stärkung der richtigen Strömung
Herbert Ammon

In bekannter Spiegel-Manier sollte es ein klickquoten-wirksamer Aufreißer sein: „Willy Brandt bekam geheime US-Zahlungen ab 1950“. In einem später angefügten Nachsatz mußte das Blatt von seiner Erstversion, der zufolge anno 1950 die CIA als Geldgeber Willy Brandt mit 200.000 Mark gefördert – mit der Suggestion „als Agenten angeheuert“ – habe, wieder abrücken: „Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels stand, die Zahlungen an Willy Brandt stammten von der CIA. Das ist nicht korrekt. Das Geld, um das es hier geht, stammte aus dem Marshall-Plan.“

Vor dem Hintergrund der Nachkriegsgeschichte sowie der Berliner SPD-Parteigeschichte kommen die auf Spiegel online und in anderen Medien als spektakuläre Nachricht mitgeteilten Fakten wenig überraschend. Daß in Zeiten des Kalten Krieges – noch über Jahrzehnte hin – beide Seiten mit Geldern die Kassen ihrer jeweiligen Parteigänger und Verbündeten füllten, lag in der Natur der Sache, nämlich in der Logik des 1946/47 aufgebrochenen Ost-West-Konflikts zwischen den Siegermächten. Mit der Berliner Blockade 1948/49 erreichte der Konflikt einen ersten Höhepunkt. Mit der Gründung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, der Bundesrepublik in der westlichen Trizone und der DDR in der Sowjetzone, waren die Fronten machtpolitisch abgesteckt – mit dem auf spezifische Weise teils konservierten, teils modifizierten konflikthaltigen Sonderstatus der Vier-Mächte-Stadt Berlin.

Nicht zu trennen ist die deutsche Nachkriegs- und Teilungsgeschichte von Realität und Praxis der Ideologien: hier die Bundesrepublik als Teil des freien Westens im Zeichen der Demokratie, dort die DDR als Teil des von Stalin etablierten Ostblocks, ein kommunistisches Regime mit entsprechenden Gewaltpraktiken unter „antifaschistischen“ Vorzeichen. Ihre Ziele im Zentrum Europas verfolgten die Sowjets mit Hilfe der aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten Kommunisten um Walter Ulbricht, der 1946 zwangsvereinten SED sowie der anderen Blockparteien, die ebenso eine gesamtdeutsche Rhetorik pflegten.

Brandt war kompromißloser Antikommunist

Im Westen setzten die Amerikaner auf die Verfechter der Westbindung, darunter nicht allein der erste Bundeskanzler Adenauer und – mehrheitlich – die CDU, sondern auch der um den Berliner Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter gescharte Flügel der Sozialdemokraten. Reuter, der Protagonist der freien Welt während der Blockade, 1922 aus der KPD ausgeschlossen, hatte sich nicht erst in seinem Exil in der Türkei zum entschiedenen Gegner des Sowjetkommunismus gewandelt. In den Kontroversen über die seit Februar 1948 angestrebte Weststaatsgründung gehörte Reuter zu den vehementen Befürwortern eines mit den Westmächten verbündeten demokratischen Teilstaats. Für die Eingliederung Westdeutschlands in das westliche Bündnissystem, für den Wiederaufbau Westeuropas und zur Abwehr der kommunistischen Gefahren stellten die USA aus dem Marshall-Plan insgesamt 13 Milliarden Dollar (nach heutigem Wert 129 Milliarden Dollar) zur Verfügung, davon etwa zehn Prozent für die westdeutsche Wirtschaft.

Reuters Kurs vor und während der Blockade war auch in der Berliner SPD nicht unumstritten. Zu seinen Verbündeten in der Partei gehörte der junge, aus norwegisch-schwedischem Exil zurückgekehrte Willy Brandt. Der war spätestens seit dem Hitler-Stalin-Pakt zu einem illusions- und kompromißlosen Antikommunisten geworden. Im September 1949 war Willy Brandt für (West-)Berlin in den ersten Bundestag delegiert worden. Als mit dem Ausbruch des Korea-Krieges der Ost-West-Konflikt in eine neue Phase trat und die Wiederbewaffnungspläne unter den Westdeutschen noch weithin auf Ablehnung stießen, waren die Amerikaner erst recht auf verläßliche Verbündete angewiesen. Sie gaben Sozialdemokraten wie Ernst Reuter und Willy Brandt den Vorzug vor Kurt Schumacher, dem nicht minder antikommunistischen und westorientierten, gleichwohl als „nationalistisch“ verdächtigten SPD-Vorsitzenden, der ihnen wohl auch zu „sozialistisch“ war.

Es nimmt also nicht wunder, daß die Amerikaner bei den innerparteilichen Richtungs- und Machtkämpfen in Berlin – auch im Ostsektor existierte noch eine SPD-Organisation – Reuters Adlatus Brandt gegen Rivalen wie den proletarischen, gleichfalls antikommunistischen Franz Neumann und insbesondere gegen womöglich noch immer SED-freundliche Genossen finanziell unter die Arme griffen. Mit 200.000 Mark kauften sie Beilagen in dem Berliner Stadtblatt, dessen Chefredakteur Willy Brandt war. Darin wurde für den Marshall-Plan geworben. 200.000 Mark machten bei einer Gesamtsumme von 600.000 Mark in der Parteikasse immerhin ein Drittel aus. Um östliche Kampagnen wegen „Amerikahörigkeit“ abzuwehren, hat Brandt derlei Geldzahlungen aus geheimen US-Fonds stets abgestritten. Geldquellen zu verschweigen oder zu verstecken gehörte nicht nur im Kalten Krieg zum politischen Geschäft.

Karriere von Willy Brandt zeichnete sich noch nicht ab

Die genannten Fakten zur sozialdemokratischen und deutschen Nachkriegsgeschichte hat der Historiker Scott Krause recherchiert. Um daraus ableitbaren Mediengerüchten, die Brandts Nachruhm ein paar Kratzer zufügen könnten, vorzubeugen, stellte die Willy-Brandt-Stiftung Krauses aus Archiv-unterlagen gewonnene Erkenntnisse bei einer Veranstaltung in der SPD-Parteizentrale in Kreuzberg selbst vor. Der Autor betonte: „Es gibt keinen direkten Zeitbezug amerikanische Spende – Willy Brandt steigt auf.“ Im Kampf um die Berliner Parteispitze sei Brandt zweimal unterlegen. Der Historiker und stellvertretende Geschäftsführer der Willy-Brandt-Stiftung, Bernd Rother, wies den Gedanken der „Käuflichkeit“ Brandts zurück. Er verteidigte den damaligen Geldfluß mit der höheren geschichtlichen Weisheit im Kalten Krieg: „Dieses amerikanische Geld ging an eine gute Sache – und es stand bei weitem nicht allein, sondern entsprach insgesamt den Aktivitäten der Amerikaner in West-Berlin und der Bundesrepublik.“