© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

„Wir töten nur Ausländer“
IS-Terror: Während die Terrormiliz militärisch in Bedrängnis gerät, sucht sie ihr Heil in asymmetrischer Kriegsführung / Erdogans Spiel mit dem Feuer
Marc Zoellner

Kaum hatten die Aufräumarbeiten am Istanbuler Atatürk-Flughafen nach dem schweren Anschlag begonnen, explodierten bereits die nächsten Sprengsätze. Diesmal in Dhaka, der Hauptstadt des südasiatischen Bangladesch, wo sieben lokale Anhänger des Islamischen Staates (IS) am 1. Juli ein Restaurant stürmten, zwanzig Menschen töteten und sich im Anschluß ein heftiges Feuergefecht mit den Sicherheitskräften lieferten. Nur einen Tag später explodierten die Autobomben zweier Selbstmordattentäter in Bagdad, töteten über 200 Anwohner. Auch hier bekannte sich das Kalifat und feierte seine Angreifer als „Märtyrer“ im Internet.

Mit seiner blutigen Anschlagsserie von vergangener Woche bewies der Islamische Staat einmal mehr, daß Terror keine Grenzen kennt. Ersten Ermittlungen der türkischen Polizei zufolge stammten die Attentäter vom Atatürk-Flughafen entsprechend aus dem Ausland: ein russischer Staatsbürger aus Dagestan sowie zwei Extremisten aus Kirgistan und Usbekistan. Nach dem mutmaßlichen Drahtzieher des Blutbads, dem Tschetschenen Achmed Tschatajew, wird inzwischen per Großfahndung gesucht.

In Istanbul traf der lange Arm des IS den größten Flughafen des Landes, das Tor der Türkei zur restlichen Welt und ebenso einen der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte für Millionen Touristen und Geschäftsleute. Ebenso verhielt es sich in Bangladesch. Kaum vierhundert Meter von der deutschen Botschaft entfernt befand sich das vom IS angegriffene Restaurant, inmitten eines von ausländischen Diplomaten und Studenten stark frequentierten Stadtviertels. Die „Holey Artisan Bakery“ geriet dabei nicht zufällig ins Fadenkreuz der Angreifer: „Bengalische Leute, kommt heraus“, soll einer der Terroristen bei der Erstürmung des Ladengeschäfts den Gästen zugerufen haben. „Wir töten keine Bengalen. Wir töten nur Ausländer.“

Nahtlos reihen sich die zuletzt verübten Anschläge des IS in dessen neue Strategie der asymmetrischen Kriegsführung ein. Militärisch im Irak und in Syrien in Bedrängnis ist dessen Hauptaugenmerk längst schon auf die vitalen Funktionen jener Länder gerichtet, in welchen IS-Anführer al-Baghdadi seine Wilayate, seine Kalifatsprovinzen zu errichten gedenkt; ebenso wie auf jene, die in militärische Aktionen gegen den Islamischen Staat involviert sind.

 Die Türkei ist vom asymmetrischen Krieg des IS gleich doppelt betroffen: Mit dem Angriff sollte einerseits der internationale Tourismus, eines der Standbeine der türkischen Wirtschaft, tödlich getroffen werden. Überdies zielte der IS auf eine erneute Eskalation zwischen Ankara und Moskau ab. Beide hatten sich in den vergangenen Wochen in zarten diplomatischen Annäherungen versucht; die türkische Regierung sogar ein Entschuldigungsschreiben an den Kreml für den im Herbst 2015 geschehenen Abschuß eines russischen Kampfflugzeugs gesandt. Daß al-Bagdhadi nun gerade russische Staatsbürger ausschickt, um in der Türkei ein Blutbad anzurichten, ist keinesfalls Zufall.

Erwartungsgemäß sprang Recep T.  Erdogan auch über den Stock: Zwar ordnete der türkische Präsident gleich nach dem Istanbuler Terrorakt umfangreiche Razzien in den einschlägig bekannten Vierteln der Metropole an. Gleichzeitig ließ er aber auch wissen, daß sich an seinem einmal eingeschlagenen außenpolitischen Kurs, insbesondere was den Sturz der Regierung in Damaskus betrifft, auch durch den Anschlag nichts ändern wird. 

Baschar al-Assad sei „ein viel größerer Terrorist als die Terroristen“ der kurdischen Partei (PYD) und Volksverteidigungseinheiten (YPG) im Norden Syriens, verkündete Erdogan vergangenen Samstag. Durch die Ermordung von über 600.000 seiner eigenen Staatsbürger sei Assad „selbst noch ein größerer Terrorist“ als der IS.