© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

„Heckenschützen auf den Dächern gewünscht“
Linksextremismus: In Berlin gab es die gewalttätigste Demonstration der vergangenen fünf Jahre / Nicht alle Politiker distanzieren sich von den Tätern
Ronald Gläser


Blaulicht, brennende Autos, Steinwürfe. Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg spielen sich seit Wochen Straßenkampfszenen ab (JF 27/16), die am vergangenen Wochenende bei einer Demonstration eskalierten. Bilanz der Krawallnacht von Sonnabend auf Sonntag: 123 verletzte Polizisten, 86 Festnahmen. Elf abgefackelte Autos.

Anlaß dieser Gewaltorgie ist ein Polizeieinsatz im Juni in der Rigaer Straße 94. Dort leben Linke in einem Hinterhaus und betreiben eine Kneipe. Einem Bericht der Welt zufolge beträgt die Miete für die Wohnungen pro Quadratmeter nur einen Euro.

Für die Kneipe hingegen wird gar keine Miete gezahlt. Nun wollte der Eigentümer das Objekt räumen. Nach einer Sanierung plant er die Unterbringung von Asylbewerbern. Aber die linksextremen Bewohner wollen von internationaler Solidarität nichts hören. Für sie sind die Bauarbeiten ein Angriff auf ihr Biotop.

In dieser Stimmung versammelten sich am Sonnabend abend Hunderte Angehörige der linksradikalen Szene am Wismarplatz. Ihre Feindbilder: Immobilienbesitzer, Polizisten und Politiker. Ein Bericht auf dem Internetportal Indymedia (JF 23/16) gibt Einblick in das haßerfüllte Weltbild der Krawallmacher. Einer schreibt über das Eintreffen der Polizei: „Was diese behelmten Schweine, gegen welche sich die Versammlung zum großen Teil überhaupt richtet, auf unserer Demo zu suchen haben, fragen wir uns. Wir wollen und brauchen sie nicht! Verpißt euch!“

Die etwa 2.000 Teilnehmer der Demo hätten „Bullenschweine raus aus der Rigaer“ gesungen und sich mit Steinen auf einer Baustelle für Luxuswohnungen versorgt. Damit seien die „übelriechenden Schweine“ eingedeckt worden, die nun in größerer Zahl aufgetaucht seien. Mit Blick auf das Polizisten-Attentat von Dallas heißt es schließlich: „In dem Moment haben wir uns wirklich Heckenschützen auf den Dächern gewünscht, welche uns vor dem Gewaltausbruch der Schweine hätten retten können.“

Die Linksextremisten haben angekündigt, für jeden „Polizeibesuch“ eine Million Euro Schaden anzurichten. Der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) verurteilte die Gewalt. „Unsere Polizei war über weite Teile der Demonstration mit einer hochaggressiven und feindseligen Stimmung konfrontiert“, so Henkel. Verhandlungen mit den Autonomen erteilte er eine Absage. Am Montag schwenkte auch Regierungschef Michael Müller (SPD) auf Henkels Linie um. Der Regierende Bürgermeister hatte zunächst Entgegenkommen angedeutet, jetzt aber erteilte er der Forderung nach einem „Runden Tisch“ eine Absage.

Doch die linken Oppositionsparteien solidarisieren sich den Bewohnern der Rigaer Straße. Allen voran die Abgeordnete Canan Bayram (Grüne). Sie beteiligte sich an der Demo, protokollierte fein säuberlich bei Twitter die Demonstrationsroute und versendete Fotos mit dem Transparent der Linksextremisten („Investor*innenträume platzen lassen“). Kein Wort der Distanzierung.

Auch die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann möchte gerne mit den Bewohnern der Rigaer Straße verhandeln. Diese hatten ihr ihre Forderungen schriftlich zukommen lassen.  Demnach fordern sie laut taz den „Abzug von Bullen und Sicherheitsfirmen aus der Rigaer 94 und die Rückgabe der Räume“. Herrmann dazu: „Ich persönlich finde, man kann über alles reden.“

Die Nachbarn des alternativen Wohnprojekts reagieren verhalten. Zahlreiche Anwohner zeigen sich eher von der Polizeipräsenz in ihrer Straße verärgert als von den Extremisten. Das mag auch an Einschüchterungen liegen, aber die Existenz einer Unterstützer-szene ist unübersehbar. Am Dienstag stellten die Anwohner ihre Forderungen nach einer friedlichen Lösung der Presse vor. Und Frank Henkel signalisierte ein Entgegenkommen: Anwohner sollen künftig besser über Polizeimaßnahmen informiert werden.

Dem harten Kern wird das nicht genügen. Aber für Demoteilnehmer, auch wenn sie erwischt worden sind, wird die Krawallnacht kaum Konsequenzen haben. Die Polizei konnte nach den 86 Festnahmen nur zwei Haftbefehle erwirken. Den Verdächtigen wird schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Die anderen 84 wurden auf freien Fuß gesetzt.