© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Weiße Polizisten als Haßobjekt
USA: Nach dem Mord an fünf Polizisten erlebt das Land eine Welle der Gewalt
Marc Zoellner

Auch in den Tagen nach dem tödlichen Attentat auf fünf weiße Polizisten durch den schwarzen Heckenschützen Micah Xavier Johnson scheinen die Vereinigten Staaten nicht zur Ruhe zu kommen. Allein in Baton Rouge, der Hauptstadt von Louisiana, wo Anfang vergangener Woche der 37jährige Afroamerikaner Alton Sterling von Beamten getötet wurde, versammelten sich erneut Tausende Menschen, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. 

Was am Tage noch friedlich verlief, eskalierte im Verlauf der Nacht zu Sonntag komplett: Die Polizei mußte gepanzerte Fahrzeuge gegen die aufgebrachte Menge einsetzen, ebenso wie Tränengas. Über 125 Verhaftete zählten die Behörden von Baton Rouge an einem einzigen Abend. Ähnliche Szenen spielten sich auch in Saint Paul in Minnesota ab, wo die Nachrichten von Ausschreitungen und Verhaftungen sich förmlich überschlugen.

Der Attentäter verfügte über detaillierte Anschlagspläne 

Im texanischen Houston fielen unterdessen erneut tödliche Schüsse auf einen Schwarzen, welcher mehrere Polizisten mit vorgehaltener Pistole bedroht hatte.

 In San Antonio im südlichen Texas hatten Unbekannte in der gleichen Nacht mit Gewehren auf das örtliche Polizeihauptquartier geschossen, während in Dallas neue Morddrohungen gegen Polizisten sowie eine Bombenwarnung kursierten. Um die Situation vor Ort zu begutachten und ebenso, um der fünf vergangenen Freitag ermordeten Polizisten zu gedenken, hatte US-Präsident Barack Obama seine Spanienvisite abgebrochen. 

Fest steht, daß es sich bei Johnson, den Attentäter von Dallas, um einen Einzeltäter handelte. Der 25jährige Afghanistanveteran hatte auf die Polizisten geschossen, bis er sich in einer nahe gelegenen Tiefgarage verschanzt hatte, wo er nach mehrstündiger Belagerung durch die Polizei von einem mit C4-Sprengstoff beladenen Roboter getötet wurde. Fest steht aber auch: Für Johnson sollte diese Blutnacht lediglich der Auftakt zu noch viel größeren Gewalttaten werden. 

„Der Verdächtige sagte, er sei wütend auf Weiße und wolle weiße Menschen töten“, gab David Brown, der afroamerikanische Polizeipräsident von Dallas, später zu Protokoll. „Insbesondere weiße Polizisten.“ Als Auslöser seiner Mordorgie gilt die Tötung der beiden Schwarzen Alton Sterling und Philando Castile in Louisiana und Minnesota. 

Doch Johnsons Pläne waren nicht  spontan und nicht erst an diesem Tag geboren, wie die Ermittlungen ergaben. Bei der Durchsuchung von Johnsons Haus fanden Beamte neben einer umfangreichen Sammlung explosiver Chemikalien das Tagebuch des Attentäters. In diesem beschrieb Johnson von ihm im Garten des Hauses erprobte Taktiken, mittels Schüssen aus dem Hinterhalt seine Angreifer zu verwirren. Ebenso hinterließ er detaillierte Aufzeichnungen über den Fortschritt seiner Sprengstoffexperimente. Der Polizeichef von Dallas ist sich sicher: Bei nächsten Gelegenheit hätte Johnson im wahrsten Sinne des Wortes die Bombe platzen lassen.

Clinton und Trump zügelten ihren Wahlkampf

Nach der Ausschaltung Johnsons durch die kontrollierte Sprengung eines Polizeiroboters übt sich Amerikas Oberschicht in Selbstberuhigung. Ein „gestörtes Individuum“ nannte US-Präsident Barack Obama den Amokläufer und rief während seines Besuchs des Gipfels in Warschau die amerikanische Bevölkerung zu Ruhe und Besonnenheit auf.

„Wir können die Taten nicht uns allen zuschreiben lassen“, folgerte Obama. In ihren Fernsehansprachen betonten auch die beiden Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump ihren Wunsch nach Sicherheit und sozialem Frieden innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft.

 Die Zahlen sprechen für sich: Mit 26,5 Prozent war mehr als jeder vierte von der Polizei im vergangenen Jahr Getötete ein Afroamerikaner – bei einem Bevölkerungsanteil von gerade einmal 13 Prozent. Über 15 Prozent aller Toten machen junge Schwarze zwischen 15 und 34 Jahren aus. In der Bevölkerung stellt diese Kohorte gerade einmal zwei Prozent. Rund 745.000 männliche Afroamerikaner sitzen derzeit in US-Gefängnissen ein; das sind gut 40 Prozent aller Inhaftierten. Weiße, die in etwa zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, kommen hingegen gerade einmal auf 39 Prozent. 

Immer öfter schließen sich afroamerikanische Bürger zu sogenannten Selbstschutzorganisationen zusammen (JF 51/14). Schwer bewaffnet kontrollieren diese ihre Nachbarschaft und besonders die Arbeit der Polizisten in von Schwarzen bewohnten Vierteln. Unter diesen finden sich neben friedlichen Bürgerrechtsgruppen auch radikale, afronationalistische bis hin zu offen rassistischen Bewegungen. 

Eine dieser Extremistengruppen, der „Huey P. Newton Gun Club“, ist in Dallas beheimatet und organisierte auch im Anschluß an die Blutnacht vom vergangenen Freitag erneut – in Texas legale – bewaffnete Kundgebungen gegen die US-Polizei. 

Benannt nach dem Gründer der berüchtigten Black Panthers, welcher wegen der Tötung eines Polizisten bei einer Verkehrskontrolle in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts selbst für mehrere Jahre im Gefängnis einsaß, rühmt sich der Waffenverein gern öffentlich seiner hervorragenden Kontakte zu kriminellen schwarzen Straßengangs wie den Bloods und Crips. Auch Johnson war Anhänger des Gun Clubs und teilte mit ihr den Rassenhaß auf Weiße – insbesondere auf weiße Staatsbeamte.

Huey P. Newton Gun Club    setzt auf Agressivität

In den Kreisen des Gun Clubs wiederum wird Johnson mittlerweile als Märtyrer gefeiert. Eine ihm gewidmete Seite generierte binnen 24 Stunden nach Johnsons Amoklauf fast 2.000 überwiegend aus den Vereinigten Staaten stammende Likes, bis sie von Facebook am Sonntag vom Netz genommen wurde. „Micah Xavier Johnson ist ein gefallener Held, dessen Schicksal es war, alle Afroamerikaner von rassistischen Bullen zu befreien“, lobpreisten ihn seine Anhänger auf Facebook. 

Für das Leid, welches er unter den Opfern und ihren Familien anrichtete, findet sich hingegen keine Spur der Empathie.