© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Grüße aus Santiago de Cuba
Warten auf XXL90
Alessandra Garcia

Der Schwager ist gerade an Cholera gestorben, der Onkel am Denguefieber, der aber lebt ewig. Das ist seine Strafe.“ Ich stehe an der Restaurantbar, wo ich bereits zum dritten Mal mit einer Freundin auf deren genehmigte Urlaubsreise nach Frankreich anstoße. Und so benötigen die Sätze des bärtigen Mannes einige Sekunden, ehe ich begreife, was dieser da gesagt hat und wer gemeint ist: unser ewiger Revolutionsführer im Unruhestand.

Der schimpfende Mann, jenseits der Sechzig, sucht Blickkontakt. Aber alle weichen aus. Einer der Gäste zeigt mit dem Zeigefinger an seine Schläfe und macht eine rotierende Bewegung. Na klar, ein Verrückter. Da kann man nichts machen. Das muß man aushalten, daß da einer die Revolution und deren Chefideologen beleidigt. Der Barkeeper hat sich ohnehin verdrückt. Der sucht aus der Abstellkammer die leeren Rumflaschen für seine Tante heraus, die diese mit geklautem Rum füllen wird. Von irgendwas muß man ja leben im sozialistischen Paradies.

Revolution gepaart mit Zwiebelverkauf – auch ein Blockwart will von etwas leben.

Dieses bereitet sich derweil in Losungen auf das große Ereignis vor. Am 13. August wird XXL 90. Bei der Demonstration am 1. Mai auf dem Platz der Revolution sind wir schon darauf eingeschworen worden. Die Kinder streckten Pappsterne mit dem Konterfei des Geburtstagskindes den auf der Tribüne sitzenden Funktionären entgegen.

Man kann man fast jeden Tag einen neuen Geburtstagsgruß entdecken. Das Bäckereikollektiv an der Enramada war eines der ersten. Es pinselte an die Scheibe in bunten Farben: „Saludamos el 90 cumpleaños de Fidel.“ 

Wenig später folgte der CDR-Chef des benachbarten Blocks mit einem „Feliz cumpleaños 90“ und einer selbstgebastelten Schautafel, Castros Leben in fünf Bildern darstellend: eine Aufnahme der Moncada-Kaserne erinnert an den mißlungenen Aufstand, ein Bild des jungen Rechtsanwalts an dessen bewegende Verteidigungsrede („Die Geschichte wird mich freisprechen“). Castro als Rebell in olivgrüner Uniform mit geschultertem Kampfrucksack, als Regierungschef und als Pensionär in rotweiß gestreiftem Sweatshirt.

„Comandante de Siempre“ hat der Chef des Comités de defensa de la revolucion dazu geschrieben. So abgesichert, kann er dann, mit einem Abstand von zwei Metern, Zwiebeln zum Kauf anpreisen. Schließlich muß auch ein Blockwart von etwas leben.