© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Hinter der Fassade
Dokumentation: „Meine Brüder und Schwestern im Norden“ der deutsch-koreanischen Filmregisseurin Sung-Hyung Cho
Sebastian Hennig

Seit einiger Zeit häufen sich Reportagen und Dokumentationen mit Stimmungsbildern aus Nordkorea. Der ausländische Blick auf das Land verstärkt zumeist die vorgegebene Propaganda, als wäre die Volksrepublik der letzte bunte Flecken auf der globalisierten Weltkarte. Die Auswirkung eines ursprünglichen Kulturschocks überwiegt die ideologische Irritation bei weitem. Zuletzt wurde das deutlich in dem Film „Im Strahl der Sonne“ des russischen Regisseurs Vitaly Mansky (JF 11/16).

Verstehen ist wohl nur möglich, wenn statt kühler Interessiertheit ein warmes Interesse besteht. Das ist der Fall bei der 1966 im südkoreanischen Busan geborenen Filmemacherin Sung-Hyung Cho. Von ihren fremden Landsleuten sagt sie: „Sie sind keine Marionetten oder Monster. Unser herkömmliches Bild über Nordkorea als ‘das absolut Böse’ verrät eigentlich viel mehr über uns selbst als über das Land.“

In der Schulzeit wurde sie mit den Schauergeschichten über den Norden konfrontiert. Unterdessen ist ihr bewußt, daß auch dort Heimat ist und beide Staaten eine lange gemeinsame Geschichte haben. Sie hat 1990 ihr Studium in Marburg fortgesetzt und lebt seither in Deutschland. 2012 hat sie die koreanische Staatsbürgerschaft gegen die deutsche getauscht. Nur auf diesem Umweg konnte sie in den Norden des Landes einreisen und filmen. Der eiserne Vorhang ist immer noch von beiden Seiten aus undurchdringlich. Sehr diskret ist sie vorgegangen: „Die Südkoreaner wurden in der ganzen Zeit natürlich komplett ausgeklammert. Sie sollten auf gar keinen Fall wissen, daß ich nach Nordkorea reise. Anfangs habe ich nicht mal meinen Eltern davon erzählt.“

Das Ergebnis „Meine Brüder und Schwestern im Norden“ nennt sie einen Heimatfilm. Die Gesprächspartner wurden ihr ausgesucht. Weil sie sich jedoch im Umgang mit den Behörden viel Zeit genommen hat, erhalten wir trotzdem ein sehr differenziertes Bild. Mit drei Reisen wurden die Dreharbeiten vorbereitet. Dabei konnte sie die Beobachtung machen, daß die Klischeehaftigkeit der meisten Darstellungen von der Übereilung der Filmer verursacht ist. Auf die erste Anfrage bekämen alle zunächst die Fassade zu sehen. Legen sie bereits mit dem Drehen los, blieben ihnen die Hintergründe verborgen, welche sich erst nach und nach eröffnen.

Der Blickfang der Kulissen des Regimes fesselt tatsächlich viele Berichterstatter mehr als die Menschen davor und dahinter. Diesen Köder hat die Regisseurin nicht geschluckt. Im Mittelpunkt ihres Films steht das Leben der Menschen, die Parolen illustrieren dieses nur und nicht umgekehrt. Sie meint dazu: „Am schwierigsten war es, das zu sehen, was wirklich da war, zwischen den Bildern, die wir schon im Kopf hatten – diese sind meist sehr voreingenommen – und den Bildern, die die Nordkoreaner von sich preisgaben.“

Anders als Mansky mißbrauchte Cho nie das Vertrauen, indem sie heimlich gedreht hat. Sichtbar werden die Verhältnisse vor allem durch ihre Geduld und Empathie. Die Regisseurin ist als Gesprächspartner immer mit im Bild. Den Vorwurf kritikloser Übernahme kann man ihr nicht machen. Oft genug wird sie beinahe zudringlich, wenn sie die Textilarbeiterin fragt, ob sie nicht einmal allein sein will.

Der 26jährigen Offizierin Ri Ok Kyong versucht sie offensichtliche Dienstgeheimnisse zu entringen. Nach zehn Jahren geht ihr Militärdienst zu Ende und sie kann an eine Heirat denken. Korea ist ein nationalistischer Militärstaat. Es herrscht die „Militär zuerst“-Doktrin. Wehrhaftigkeit und Traditionsbewußtsein sollen die Unterminierung von außen verhindern, Festhalten an der Sitte jedem Umsturz vorbeugen. „Füße auf dem heimischen Boden, den Blick in die Welt gerichtet“, verkündet eine Parole.

Getragen ist Chos Arbeit von dem aufrichtigen Wunsch nach Wiedervereinigung. Darin ist sie sich mit ihren Gesprächspartnern einig. In der Hafenstadt Wonsan spricht sie mit der Textilarbeiterin Ri Gum Hyang und im ländlichen Sariwon mit dem Bauern und Traktorfahrer Go Kwang Bok und seiner Familie. Die Frage, wie man zuerst an das Gemeinwohl und dann erst an den eigenen Vorteil denken kann, beantwortet dieser mit dem Sprichwort: „Wenn die Schüssel glänzt, sieht der Inhalt auch schön aus.“ Sein Bauernhaus könnte so auch in Ungarn stehen, mit den Reben davor und der bescheidenen, aber reinlichen Ausstattung. Gekocht wird auf Methangas oder Strohfeuer, mit Sonnenenergie der Strom erzeugt. Ein massiver Trafo richtet diesen für das Fernsehgerät, welches im Ruhezustand mit einer gehäkelten Decke verhüllt ist. Eine Parole verkündet „Es gibt nichts auf der Welt, auf das man neidisch sein muß.“ Die Bescheidenheit der Menschen wirkt auf die Apologeten der Selbstverwirklichung aufreizend.

In der Fußballschule in der Hauptstadt Pjöngjang werden seit 2013 bis zum zwölften Lebensjahr die langen Kerls der Volksrepublik aufgezogen. Sie bekommen besseres Essen und haben einen kräftigeren Körperbau als ihre Altersgenossen. Zu einer Probe für die koreanischen Verhältnisse wurde Sung-Hyung Cho ausgerechnet die Arbeit an ihrem Film über die deutsche Frauenfußballnationalmannschaft „11 Freundinnen“ (2012): „Die äußerst schwierigen Drehsituationen und extrem unerfreulichen Erfahrungen mit dem DFB (…) haben mir sehr viel geholfen zu verstehen, wie ein totalitäres System funktioniert und wie sich eine Kultur der Angst auf die Menschen auswirkt. So war ich bestens auf Nordkorea vorbereitet.“

Kinostart am 14. Juli 2016  www.meinebruederundschwesternimnorden.de