© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Kommt nach Hause
Star, Spatz, Sperber, Habicht und Schwalbe: die Simson-Szene lebt
Bernd Rademacher

Die Kleinkrafträder der Traditionsfirma Simson sorgten in der DDR für individuelle Mobilität der Jugendlichen zwischen Rügen und Suhl. Mit 60 Stundenkilometern auf der „Schwalbe“ ließ sich ein bißchen Freiheit im „Arbeiter- und Bauernstaat“ fühlen. Nach dem Mauerfall ließen Zehntausende Simson-Fahrer ihre Zweiräder einfach am Straßen-

rand stehen, um auf West-Marken umzusteigen. Reaktionsschnelle Jungunternehmer brauchten die herrenlosen Mokicks nur einzusammeln und im Westen zu verkaufen. Unter den Hipstern westdeutscher Unistädte wurde der „Ost-Bock“ zum Kultobjekt. Heute haben die Simson-Krafträder ihre Beliebtheit in den jungen Bundesländern zurückerobert und sind ein gesamt-

deutsches Phänomen. Jetzt haben Schwalbe und Co. wieder Hochsaison auf den Straßen!

Das traditionsreiche Unternehmen der jüdischen Brüder Simson war ursprünglich als Rüstungsbetrieb erfolgreich und lieferte bereits Gewehre für den preußisch-österreichischen Krieg von 1866. Doch das Glück verließ die Unternehmerfamilie: Dreimal in der Geschichte wurde die Firma von Sozialisten enteignet! Zuerst von den Nationalsozialisten, nach dem Krieg von den Sowjets und schließlich von der DDR-Führung, die aus dem Hause Simson den „volkseigenen Betrieb Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Ernst Thälmann“ machte. 1955 begann eine bescheidene Moped-Produktion. Am Ende der DDR bauten die rund viertausend Mitarbeiter jährlich 200.000 Zweitakt-Flitzer.

Retro-Design begeistert auch die Wessis 

Daß die Simson-Mopeds nach der Wende auch im Westen schnell beliebt waren, lag nicht nur am coolen Retro-Design: In der DDR galt für Mopeds eine Höchstgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern, die beim Einigungsvertrag beibehalten wurde. West-Mopeds durften nur 50 fahren. Zudem schaffte die S51 selbst unfrisiert spielend noch zehn „Stuckis“ mehr. Trotzdem scheiterte die neue Unternehmensleitung am Markt: 2002 war endgültig Feierabend. Doch auch wenn am Standort Suhl keine Kräder mehr montiert werden, fertigt die Produktion bis heute Ersatzteile für die Old- und Youngtimer-Modelle.

Die größten Erfolge Simsons sind der Roller Schwalbe und die S51 im klassischen Motorrad-Design mit der unverschämt großen Vorderleuchte. Den Typ gibt es zudem in einer selteneren Enduro-Version. Auch die anderen Modelle der „Vogelreihe“ (Star, Spatz, Sperber, Habicht) sind gesuchte Stücke für Individualisten, die sich nie im Leben auf einen asiatischen Kymco-Roller setzen würden.

Im Sommer 2016 knattert die Szene im Zweitakt-Sound zu vielen Liebhaber-Treffen in ganz Deutschland. Unter dem Motto „Kommt nach Hause!“ fand Anfang Juli die erste Simson-Schau am Geburtsort Suhl statt. Fahrprüfungen, Rennen und eine Ausfahrt durch den Thüringer Wald standen auf dem Programm. Weitere Höhepunkte waren eine Werksbesichtigung und die Wahl zur „Miß Simson“. Kandidatin Jennifer beeindruckte mit ihrem Fachwissen  und gewann.

Deutschlands größtes Simson-Treffen erwartet Tausende Teilnehmer am 23. Juli in Zwickau. Stunt-Shows, Stoppelrennen und Reifen-Radierer werden hier geboten. Ebenfalls in Zwickau veranstaltete Red Bull die „Vogelfrei“-Simsonrallye: Auf 65 Kilometern wurden den Fahrern Geschicklichkeit und Ausdauer abverlangt. Die Luft auf dem Sachsenring roch stark nach „früher“: 1:50-Zweitaktgemisch! Das Heimatmuseum Heiligenstadt widmet dem sächsischen Gegenstück zu Kreidler & Zündapp noch bis August eine eigene Sonderausstellung mit seltenen Modellen.

Zu den regelmäßig gestellten Fragen auf den Internetseiten der Simson-Treffen gehört: „Darf ich auch mit einem anderen Moped kommen?“ MZ wird so gerade noch toleriert.