© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

„In einem Heim haben Christen Nachtwachen eingerichtet“
Konflikte in Asylbewerberheimen: Relativieren Kirchenvertreter islamische Gewalt gegen religiöse Minderheiten?
Gernot Facius

Wie ernst nehmen Kirchenleiter Übergriffe auf Christen in deutschen Asylunterkünften? Die Frage hat nach einer gemeinsamen Stellungnahme des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und des Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, erneut an Aktualität gewonnen. Beide hatten behauptet, Gewalt gegen Nichtmoslems gebe es zwar, aber solche Vorkommnisse seien „vergleichsweise selten“. Stimmt das? 

Der Berliner Pfarrer Gottfried Martens von der kleinen Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche meint nein. „Die Stellungnahme der beiden großen Kirchen ist das Ergebnis einer offenen Gesprächsverweigerung gegenüber Opfern von religiös motivierten Übergriffen.“ Martens widerspricht der Aussage, Informationen über Angriffe und Bedrohungen von Christen und anderen religiösen Minderheiten seien von Anfang an ernst genommen worden: „Die großen Kirchen haben erst und nur dann auf diese Berichte reagiert, als sie Stellungnahmen aufgrund innerkirchlichen Drucks und aufgrund der öffentlichen Diskussion nicht länger vermeiden konnten.“ Ein heftiger innerchristlicher Konflikt bahnt sich an. Pfarrer Martens kümmert sich in seiner Gemeinde seit längerem um Flüchtlinge, die vom Islam zum Christentum übergetreten sind. Auf Basis seiner Erfahrungen gewichtet Martens eine Studie des Hilfswerks „Open Doors“ anders als etwa Bedford-Strohm und Marx. Vor allem auf „Open Doors“ gehen die Berichte zurück, Christen würden besonders häufig von moslemischen Asylbewerbern und Sicherheitsleuten attackiert. Repräsentanten der großen Kirchen haben diese Vorwürfe zu relativieren gesucht, sie hielten den Verfassern der Studie „methodische Mängel“ vor. 

Martens kontert: Die beiden großen Kirchen hätten sich erst gar keine Mühe gegeben, zu erklären, wie sie zu ihrem angeblichen „besseren Überblick über die Faktenlage“ gekommen seien. Zahlen würden nicht vorgelegt. Daß die Konflikte in den Aufnahmeeinrichtungen eher aus Alltagssituationen wie Streitigkeiten über die Küchenbenutzung denn aus religiösen Gründen resultierten, wie von der evangelisch-katholischen Stellungnahme angegeben wird, ist für den Pfarrer ein Zeichen von Weltfremdheit. Er fragt: „Ist den Verfassern denn tatsächlich nicht bewußt, daß es sich hierbei um einen eminent religiösen Konflikt handelt, wenn Christen und anderen religiösen Minderheiten die Benutzung von Küchen und Sanitäranlagen untersagt wird – mit der Begründung, daß sie als ‘Ungläubige’ unrein seien und eine gemeinsame Benutzung von Küchen und Sanitäranlagen gläubigen Muslimen nicht zumutbar sei?“ Es gebe selbst in Unterkünften, die sich in kirchlicher Trägerschaft befinden, Todesdrohungen, „die von seiten der Heimleitung bagatellisiert“ würden. 

Es wirkt wie ein Hilferuf der Basis, wenn die Diakonisse Rosemarie Götz von der Landeskirchlichen Gemeinschaft „Haus Gotteshilfe“ in Berlin-Neukölln in der Zeitschrift idea spektrum schreibt, viele christliche Asylbewerber trauten sich aus Angst vor Gewalt nicht einzuschlafen. „In einem Heim haben Christen Nachtwachen eingerichtet, die ihre Glaubensgenossen wecken, wenn sich die Leute mit Messern oder Knüppeln auf den Weg machen.“ Auch die psychischen Belastungen nähmen zu, könnten jedoch nicht wie körperliche Verletzungen vorgezeigt werden. Sind die Verantwortlichen in der Kirche also darauf aus, die Probleme in den Heimen „auszusitzen“? Zu dieser Einschätzung neigt Martens. Denn es kämen ja kaum noch christliche Flüchtlinge an: „Wenn es keine mehr in Deutschland gibt, werden sich auch die großen Kirchen zu diesem für sie lästigen Thema nicht mehr äußern müssen.“ 

Die Unions-Bundestagsfraktion hat sich hinter die Stellungnahme von Bedford-Strohm und Marx gestellt. Auch sie sieht, wie ihr religionspolitischer Sprecher Franz-Josef Jung sagt, keine Beweise für eine „systematische Verfolgung“. Doch sei jeder Fall einer zuviel. Als erste konkrete Maßnahme habe die Union dafür gesorgt, daß religiös motivierte Gewalt in der Kriminalstatistik gesondert erfaßt werde. Zudem könne eine Notrufnummer für verfolgte religiöse Minderheiten geschaltet werden.