© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

„Besorgnis der Befangenheit und fehlenden Neutralität“
Kartellrecht: Oberlandesgericht Düsseldorf stoppt Kaiser´s Tengelmann-Übernahme durch Edeka / Wirtschaftsminister Gabriel blamiert
Christian Schreiber

Weder das Machtwort von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, um die Übernahme der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann (KT) durch Edeka durchzudrücken, noch die unverhohlene Drohung von KT-Chef Karl-Erivan Haub, alle denkbaren Alternativen zur Fusion seien „keine sympathischen“, haben die Richter überzeugt: Das Oberlandesgericht Düsseldorf stoppte vorige Woche im Eilverfahren die Ministererlaubnis für die geplante Übernahme (JF 4/16).

„Die Erlaubnis erweise sich schon nach einer vorläufigen Prüfung im Eilverfahren als rechtswidrig“, teilte das OLG mit. Gabriel habe „über die Erteilung der Erlaubnis nicht entscheiden dürfen, da sein Verhalten im Erlaubnisverfahren die Besorgnis seiner Befangenheit und fehlenden Neutralität begründe.“ Auch Gabriels Argument, mit dem er sich über die Fusionsablehnung des Bundeskartellamt hinwegsetzte, sei „rechtswidrig, da der Bundesminister bei seiner Entscheidung zu Unrecht den Erhalt der kollektiven Arbeitnehmerrechte bei KT als einen Gemeinwohlbelang berücksichtigt habe“. Wegen der „verfassungsrechtlichen Gleichrangigkeit“ könnten jedoch der Erhalt und die Sicherung bestehender kollektiver Arbeitnehmerrechte kein Gemeinwohlbelang sein, welches die ministerielle Erlaubnis einer wettbewerbsschädlichen Unternehmensfusion rechtfertigen könne“.

Doch nicht nur Kartellamt und Monopolkommission sehen das so, sondern auch Molkereien, Agrarverbände und speziell die Milchbauern. „Wir begrüßen, daß das Gericht das nicht nachvollziehbare Hinwegsetzen von Minister Gabriel über die Entscheidung der Fachbehörde vorerst aufgehalten hat“, erklärte Schleswig-Holsteins Bauernverbandsspecher Stephan Gersteuer.

Dabei gibt es im Norden gar keine KT-Filialen – aber der Lebensmittelhandel in Deutschland ist insgesamt hochkonzentriert. Nur vier Ketten – Edeka, Rewe, Lidl und Aldi – teilen sich 85 Prozent des Marktes. Die KT-Gruppe hatte den Verkauf ihrer insgesamt defizitären 450 Filialen in Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen zum 30. Juni 2015 angestrebt. „Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Übernahme oder die Zerschlagung“, sagte Haub damals. Doch ob die KT-Arbeitsplätze so wirklich gesichert würden, bezweifelt das OLG: „So gehe der Minister davon aus, daß durch die Nebenbestimmungen der Erlaubnis die Sicherung der rund 16.000 Arbeitsplätze bei KT gewährleistet sei. Den Gründen der Ministererlaubnis sei jedoch nicht zu entnehmen, ob und in welchem Umfang die Möglichkeit eines fusionsbedingten Stellenabbaus bei Edeka in die Abwägungsentscheidung einbezogen wurde.“ Den Angaben von Edeka sei „deutlich zu entnehmen“, daß die Fusion bei kaufmännisch vernünftigem Handeln mit einem erheblichen Personalabbau verbunden sein müsse.

Und für einen SPD-Chef besonders peinlich, warnen die Düsseldorfer Richter, die verfügten Nebenbestimmungen sein „auch nicht geeignet, die 16.000 Arbeitsplätze bei KT in vollem Umfang zu sichern. Die Nebenbestimmungen enthielten Klauseln, die einen Arbeitsplatzabbau auch innerhalb des zu sichernden Fünfjahreszeitraums mit Zustimmung der Tarifparteien zuließen.“

Minister Gabriel wehrt sich gegen den Verdacht, mit Edeka-Chef Markus Mosa oder Haub gemauschelt und „Geheimgespräche“ (Bild) geführt zu haben. Die Grünen und die Linken fordern, bei einer Ministererlaubnis den Bundestag mit einzubeziehen. Bislang kann laut dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)der Bundeswirtschaftsminister eine Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des Zusammenschlusses schwerer wiegen als die Wettbewerbsbeeinträchtigungen.Seit der diesbezüglichen GWB-Novelle 1973 ist dies nur achtmal geschehen.

Arbeitsplatzsicherung gar nicht gewährleistet?

Handelsexperten rechnen damit, daß die Edeka-KT-Fusion platzen wird und daß dann Tausende Stellen verlorengehen. Wie viele beim Konkurrenten Rewe, der angeboten hat, einen Teil der KT-Filialen zu übernehmen, ist nicht absehbar. Die Unternehmensgruppe Tengelmann dürfte mit der OLG-Entscheidung leben können, denn die anderen Geschäftsfelder des milliardenschweren Familienunternehmens wie die Baumarktkette Obi oder der Textil-Discounter KiK laufen prächtig.

Spannend wird sein, wie sich Rewe verhält. Der Edeka-Konkurrent soll ein Angebot vorgelegt haben, das den Erhalt aller Arbeitsplätze garantierte. Das war schon der Knackpunkt bei den schwierigen Gesprächen zwischen der Gewerkschaft Verdi und Edeka über den Tarifvertrag in dem künftigen Unternehmen. Allein in NRW sollten mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze wegfallen. Etwa die Hälfte der 129 KT-Supermärkte sollten in Edekas Billigheimer „Netto Marken-Discount“ (Ex-„Plus“, nicht zu verwechseln mit dem dänischen „Netto“ – der mit dem schwarzen Scottish Terrier) umgewandelt werden. Doch Haubs Netto-Filialen kommen mit wenig Personal aus – auch deshalb legten die OLG-Richter ihr Veto ein. 

Entscheid des 1. Kartellsenats des OLG Düsseldorf (VI – Kart 3/16 V):  www.olg-duesseldorf.nrw.de