© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

Familie wirkt als Schutzfaktor gegen Streß
Gesundheitsreport 2016: Die Techniker-Krankenkasse untersucht die „arbeitende Mitte“ / Besondere gesundheitliche Belastungen bei den 30- bis 44jährigen
Dirk Fischer

Die Techniker Krankenkasse (TK) analysiert seit dem Jahr 2000 Fehlzeiten durch Krankheiten sowie Arzneimittelverordnungen bei Erwerbsfähigen. Sie kann dabei auf die Daten von 4,6 Millionen Versicherten zurückgreifen, was 14,6 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten entspricht. Im Report über „Gesundheit zwischen Beruf und Familie“ befaßt sich die TK mit den Jahrgängen 1971 bis 1985.

Diese 15 Millionen umfassende „Sandwichgeneration“ sei besonderen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt: Es fallen Entscheidungen für die Karriere, und gleichzeitig ist die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei den 30- bis 44jährigen besonders wichtig, weil die Frauen zum größten Teil berufstätig sind. Auf der anderen Seite kümmern sich Personen mittleren Alters bereits häufig um ihre Eltern.

Diese Mehrfachbelastung führe zu Streß und gesundheitlichen Störungen. Psychische Störungen und Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes sowie Erkrankungen des Bewegungsapparates nehmen in dieser Altersgruppe besonders zu. Bezogen auf alle Versicherten zeigt der Gesundheitsreport einen Anstieg der Krankschreibungen gegenüber 2014 um 4,2 Prozent. Das entspricht einer Fehlzeit von 15,4 Tagen je Erwerbsperson. Seit dem Tiefststand 2006 bedeutet das eine Krankenstandszunahme um 34,9 Prozent.

Der alleinverdienende Mann ist nur noch eine Minderheit

Dabei gibt es regionale Unterschiede: Während die Versicherten in Baden-Württemberg im Schnitt an 12,8 Tagen krankheitsbedingt der Arbeit fernblieben, waren es in Mecklenburg-Vorpommern 19,5 Tage. Besonders nahmen die Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen zu, nämlich seit 2006 um 88 Prozent. Im vergangenen Jahr betrugen hier die durchschnittliche Fehlzeit bei Frauen 3,5 und bei Männern 2,1 Tage.

Beim diesjährigen Schwerpunktthema konnte die TK Informationen zu den mitversicherten Familienangehörigen nutzen. Bei weniger als 15 Prozent der Männer war die Frau familienversichert, wobei dieser Wert in den östlichen Bundesländern noch niedriger liegt. Das heißt: Die Ehefrau geht arbeiten, der Alleinverdiener ist eine Minderheit. Bei 26,9 Prozent der Männer und 38,9 Prozent der Frauen der Sandwich-Jahrgänge waren Kinder familienversichert. Das ergibt einen Durchschnitt von 0,53 Kindern. Dabei handelt es sich vorwiegend um Kinder bis zum 14. Lebensjahr, darunter relativ häufig im Vorschulalter. Im Osten waren Kinder wesentlich häufiger bei den Frauen mitversichert, nämlich mit Anteilen von mindestens 55 Prozent.

Im mittleren Erwerbsalter zeigen sich bei Erwerbspersonen mit familienversicherten Kindern weitgehend übereinstimmende durchschnittliche Fehlzeiten wie bei den altersentsprechenden Erwerbspersonen insgesamt. Aber: Während bei den Jüngeren Erkältungskrankheiten und bei jungen Männern Verletzungen dominierten, traten ab dem mittleren Erwerbsalter Erkrankungen des Bewegungsapparates in den Vordergrund. Hier sind wohl vor allem Rückenleiden gemeint.

Kinder positiv für die Firmen-Produktivität?

Die Statistik zeigt weiterhin, daß gerade bei den Erwerbspersonen mittleren Alters die psychischen Erkrankungen zunehmen. Im Durchschnitt fehlten die 30- bis 44jährigen 2,4 Tage im Jahr aufgrund psychischer Störungen. Auffallend sind hier die geschlechtsspezifischen Unterschiede: Frauen waren 3,02 Tage arbeitsunfähig, Männer 1,74 Tage. Keine andere Diagnose ist mehr für Fehlzeiten in dieser Altersgruppe verantwortlich.

Ein überraschendes Ergebnis der Studie ist aber, daß diese Fehlzeiten bei den Versicherten mit Kindern deutlich geringer sind: Insgesamt fehlten sie nur 2,14 Tage. Dieser Zusammenhang bestätigt sich auch bei den Arzneiverordnungen: In allen Altersgruppen wurden weniger Medikamente für das Nervensystem verordnet, sofern Kinder mitversichert waren. Dieses Ergebnis klingt zunächst widersprüchlich, wurde die „Sandwichgeneration“ doch wegen der Doppelbelastung von Familie und Beruf genauer unter die Lupe genommen.

TK-Chef Jens Baas vermutet, daß Familie entlastend im Sinne einer Gesundheitsressource als Schutzfaktor gegen Streß wirkt. Der TK-Report zeigt daher, daß die arbeitende Mitte zwar demographisch in die Zange genommen wird, aber Kinder offenbar positiv für die Produktivität sind. Das sollten vor allem die Unternehmen zur Kenntnis nehmen: Die moderne Arbeitswelt im Zeichen von Digitalisierung und ständiger Erreichbarkeit verlangt mehr als ergonomische Bürostühle, veganes und halales Essen in der Kantine oder eine ausgeglichenere „Work-Life-Balance“.

TK-„Gesundheitsreport 2016 – Gesundheit zwischen Beruf und Familie“:  tk.de/