© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

Ein schwarzer Fleck
Frankreich: Der Anschlag am Nationalfeiertag war auch ein Angriff auf die fragile Einheit des Landes
Alain de Benoist

Vielleicht wird man die exakten Motive von Mohamed Lahouaiej Bouhlel, dem 31jährigen Tunesier, der am 14. Juli seinen Lkw in eine Menschenmenge auf der Promenade des Anglais, der Touristenhochburg von Nizza, steuerte und 84 Menschen in den Tod riß, nie wirklich erfahren. Hatte er dieses Datum bewußt gewählt, oder hatte man ihm nur gesagt, daß die Promenade an diesem Abend voller Menschenmassen sein würde? Jedenfalls bekannte sich schon am übernächsten Tag der Islamische Staat dazu.

Für die Franzosen ist das Datum dieses Attentats ein besonderes. Die Tatsache, daß dieser terroristische Akt ausgerechnet am Nationalfeiertag geschah, wird als ein doppelter Angriff auf die Identität Frankreichs, auf seine Physis ebenso wie auf seinen Geist, wahrgenommen.

Das Fest des 14. Juli erinnert zwar auch an den Sturm auf die Bastille 1789, der den Beginn der Französischen Revolution markiert, in erster Linie aber an das große Föderationsfest, welches ein Jahr später auf dem Marsfeld am 14. Juli 1790 in Paris stattfand. Es ist ein weniger blutiger Bezug und wurde gewählt, weil das Fest als ein Symbol der nationalen Einheit verstanden werden konnte. 1880 erklärte die Regierung der Dritten Republik den 14. Juli offiziell zum Nationalfeiertag.

Ein Bericht des Senats legte fest: „Der 14. Juli 1790 ist der schönste Tag in der Geschichte Frankreichs und vielleicht der ganzen Geschichte überhaupt (sic). An diesem Tag wurde endlich die nationale Einheit vollendet, die mit der Kraft so vieler vorheriger Generationen und deren großer Persönlichkeiten vorbereitet wurde, und denen die Nachwelt dafür ein dankbares Erinnern bereitet. Föderation, dieser Tag markiert die freiwillige Einheit!“

Seither ist der 14. Juli jedes Jahr von einer großen Militärparade getragen, die auf den Champs-Elysées stattfindet und an welcher sämtliche Mitglieder der Regierung sowie Zigtausende Franzosen teilnehmen, um den Repräsentanten des Heeres, der Luftwaffe und der Flotte Beifall zu spenden. Die Parade der Fremdenlegion, welche in langsamerem Schritt als die der übrigen Streitkräfte stattfindet, ist stets jene, die den meisten Beifall erhält. Gegen Abend dann finden sich die Militärs auf den unzähligen öffentlichen Tanzveranstaltungen ein, die in Paris und den verschiedenen Regionen organisiert werden.

Die Tatsache, daß die Nationalfeier im Kern aus einer Militärparade besteht, erstaunt das Ausland oft. Sehr wenige europäische Länder schmücken sich anläßlich ihres Nationalfeiertages mit einer solchen Demonstration der Stärke, die manchen als Auswuchs des „Militarismus“ erscheinen mag. Die Franzosen sehen das nicht so. Indem sie ihrer Armee zujubeln, drücken sie einen Nationalstolz aus, der ihnen nicht nur berechtigt, sondern vollkommen natürlich erscheint. Dies traf in diesem Jahr in besonderem Maße zu, da man einerseits des hundertsten Jahrestages der schrecklichen Kämpfe des Ersten Weltkrieges gedachte (Verdun, Schlacht an der Somme), während andererseits auch jetzt französische Truppen an vielen Fronten von Syrien bis Schwarzafrika kämpfen, wo sie sich mit islamistischen Kämpfern konfrontiert sehen.

Die Ansprachen des 14. Juli und die Lieder der Truppen, die defilieren, appellieren an den patriotischen Geist im ursprünglichsten Sinne. Es geht ausschließlich um Ehre, Treue, Nationalstolz und den Kampf im Dienste des Vaterlandes.

Die Ironie der Geschichte besteht darin, daß diese Reden im Augenblick von einer Regierung der Linken gehalten werden, die den Rest des Jahres beweist, daß sie mehr Wert legt auf den Wunsch, „nicht auszugrenzen“ („kein Pauschalieren!“) und die „kein Schließen der Grenzen“ postuliert, einer Regierung, die den Willen, in den Schulbänken gegen „Geschlechterstereotypen“ zu kämpfen und den Unterricht in „nationaler Geschichte“ zu unterdrücken, höher schätzt als die Verehrung dessen, was in der Vergangenheit die Größe Frankreichs ausmachte. Hier existiert eine nahezu schizophren anmutende Diskrepanz zwischen der Tradition des 14. Juli und einem offiziellen Diskurs, der auf fundamental entgegengesetzten Werten basiert.

Die übergroße Mehrheit der Franzosen fährt dennoch fort, einen Nationalstolz zu vermitteln, der zwar seine Grenzen hat, der jedoch mindestens den Nutzen hat, daran zu erinnern, daß sich das Zusammenleben mit Landsleuten leichter gestaltet als mit „Migranten“, die eine andere kulturelle Tradition in sich tragen und in der Mehrheit der Fälle keinerlei Wunsch nach „Integration“ in das Land, welches sie aufnimmt, verspüren.

Aus diesem Grund hat das Attentat von Nizza die Gemüter doppelt bewegt: Es richtete sich – ein weiteres Mal – gegen die Franzosen, aber es zielte auch gegen den Nationalfeiertag, wie um zu versuchen, die fragile Einheit, die sich an diesem Tage einstellt, zu zerstören.

In bemerkenswerter Weise konnte  man am Folgetag des Attentats keine Wiederholung des Elans der „nationalen Einheit“ beobachten, wie er nach dem Attentat gegen Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 oder nach dem Attentat im Bataclan am 13. November zu beobachten war. Vielmehr haben die Oppositionsparteien die unzureichende Wirkung der bis dato getroffenen Anti-Terrormaßnahmen trotz seit acht Monaten proklamiertem Ausnahmezustand (nach dem Blutbad von Nizza wurde er um drei Monate verlängert) verantwortlich gemacht.

Die Militärs und Polizisten, die man überall in den Straßen sieht, dienen nur der Beruhigung der Bevölkerung, um ihr den Eindruck zu vermitteln, daß sie „geschützt“ sei, sind jedoch zur Vereitelung terroristischer Pläne völlig unnütz. Das wahre Problem ist die Schwäche der Nachrichtendienste, die nicht mit dem Profil der Dschihadisten vertraut sind und offenbar größte Schwierigkeiten haben, die Informationen, die sie erhalten, zu nutzen und vorausschauend zu handeln.

Es ist, wie kürzlich Xavier Raufer, Direktor des Forschungsbereiches für zeitgenössische kriminelle Bedrohungen der Universität Paris II., bekräftigte: „Die Situation hält an, der Staat schafft keine antiterroristischen Einheiten mehr, die vergleichbar fortführen, was früher existierte. Das Ergebnis: Es gibt keine wirklichen antiterroristischen Dienste in Frankreich, sondern einen fettleibigen Haufen, der unfähig ist, die Terroristen aufzuhalten, bevor sie Massaker verüben.“

In der Geschichte des französischen Nationalfeiertages wird der diesjährige 14. Juli von einem schwarzen Fleck gekennzeichnet bleiben.






Alain de Benoist, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“.