© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

Im allzu engen Meinungskorridor
Der Medienwissenschaftler Uwe Krüger untersucht, warum wir den Medien nicht mehr vertrauen
Heiko Urbanzyk

Am Anfang der „Lügenpresse“-Vorwürfe, die sich außerhalb von und Facebook und denKommentarfunktionen in aufstrebenden Bewegungen wie Pegida oder dem AfD-Milieu entluden, sieht Medienwissenschaftler Uwe Krüger die Berichterstattung über die Ukraine, den Maidan-Protest sowie die Krim-Annexion. 

Warum ausgerechnet die einseitige, bewußt lückenhafte Ukraine-Berichterstattung den mündigen Medienkonsumenten wachrüttelte und zum offenen Widerstand gegen seine Oberlehrer in den Redaktionsstuben trieb, klärt der wissenschaftliche Mitarbeiter der Journalistik-Abteilung der Universität Leipzig bei allem Scharfsinn leider nicht. Er weiß lediglich, daß kremlfreundliche „Troll-Fabriken“ mit bezahlten Kommentatoren, die sich in den sozialen Medien erwiesenermaßen betätigten, nicht ansatzweise die Flut der Leserbriefe, Nutzerkommentare, Facebook-Posts, Twitter-Tweets und Blogs erklären können, die wie aus dem Nichts den „Mainstream“, die „Lügenpresse“ und die „Systemmedien“ mit Verachtung überschütteten. 

Das kannten Journalisten bisher nicht: „Die kritisierten Medien reagierten mit Abwehr und Verdrängung“, so Krüger. Den Meinungsmachern fiel nichts anderes ein, als Nutzer zu sperren, Kommentare zu löschen oder die Kommentarfunktionen gleich vollständig abzuschalten. Kritiker wurden fortan als Verschwörungstheoretiker und Putin-Versteher verächtlich gemacht. Diese große Vertrauenskrise vom Herbst 2014 ist für die Medien bis heute nicht überstanden. 

Krüger versucht eine Versachlichung dessen, was heute als „Mainstream“ bezeichnet wird. Diesen gebe es zweifellos. Medienmacher schauten nachweislich auf die „Tagesschau“, „Tagesthemen“ sowie Süddeutsche, Spiegel und FAZ – und orientierten daran ihre Berichterstattung, ja: schrieben dort ab. Auch Falschmeldungen. Die großen deutschen Leitmedien wiederum schauten Richtung New York Times, NZZ und BBC sowie auf die Agenturen DPA, AFP, AP oder Reuters. „Auf jeden Fall wird deutlich“, spricht Krüger den Journalismus vom Vorwurf bezahlter Propagandaarbeit frei, „daß ein enger Meinungskorridor auch entstehen kann, wenn keine Abteilung für Agitation und Propaganda täglich Presseanweisungen an die Redaktionen verschickt und kein staatlicher Zensor vor Veröffentlichung die unliebsamen Stellen tilgt, sondern auch dadurch, daß Medien sich gegenseitig beobachten und beeinflussen.“

Was die vom Konsumenten empfundene Arroganz der Medien betrifft, setzt Krüger ein Ursachenmosaik zusammen. Da sind auf der einen Seite Redakteure, die zunehmend in prekären Verhältnissen arbeiten: Fast ausnahmslos Akademiker mit eigener Herkunft aus dem Bürgertum finden sich in einem Haifischbecken von Tagelöhnern wieder. Das Sendungsbewußtsein des links-bürgerlichen Journalistenproletariats ist weit vom wirklichen Leben derer entfernt, für die die Nachrichten und Reportagen verfaßt werden. Neben dem Zeitdruck, der eigene Recherchearbeiten verhindere, empfinde dieser Berufsstand sich eingeschränkt durch die erzwungene Rücksichtnahme auf die finanziellen Interessen des eigenen Medienhauses. Ein großer Teil journalistischer Arbeit fuße nicht mehr auf eigenen Themenideen der Redakteure, sondern werde unkritisch der PR-Arbeit von Unternehmen, Behörden, Ministerien, Parteien, „NGOs“ usw. entnommen – mit entsprechender Schlagseite.

Alpha-Journalisten sind oft von Politikern korrumpiert 

Auf der anderen Seite findet Krüger die Alpha-Journalisten. Gut bezahlte Meinungsmacher, die in höchsten Kreisen von Politik und Wirtschaft verkehren, mit exklusiven Informationen und Kontakten gefüttert werden – und damit faktisch nichts anderes als gekauft sind. Hier riskiert niemand seine Annehmlichkeiten, renommierten Kontakte und soziales Ansehen dadurch, daß er seine Informationen für Enthüllungsberichte nutzen würde. Die Bundespressekonferenz bildet nur den Unterbau einer Hierarchie von Salons und Wohnzimmertreffen, zu denen man nur auf Empfehlung des jeweiligen „inner circle“ eingeladen wird. Udo Ulfkotte, ick hör dir trapsen! 

Roß und Reiter nennt Krüger, wenn es darum geht, führende Namen des deutschen Journalismus mit prowestlichen Organisationen in Verbindung zu bringen: Josef Joffe als Mitherausgeber der Zeit soll sich in insgesamt 19 elitären Vereinigungen engagieren, darunter die Trilaterale Kommission, Atlantik-Brücke und der American Council on Germany. Klaus-Peter Frankenberger, Ressortleiter Außenpolitik bei der FAZ war bis 2015 Mitglied der Trilateralen Kommission. Theo Sommer, langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der Zeit, war zu seiner beruflichen Hochzeit für den German Marshall Fund of the United States tätig, Mitglied der Trilateralen Kommission und saß im Lenkungsausschuß der Bilderberg-Konferenz. Der Sitz von Theo Sommer im Bilderberg-Lenkungsausschuß ging im Jahr 2012 an den Zeit-Journalisten Matthias Naß. Dies sind nur einige wenige Namen, die Krüger nennt, und wer weiß, ob er selbst sie alle kennt. Sämtliche dieser Alpha-Journalisten eint durch ihre organisatorische Einbindung in die Politik, die sie eigentlich kontrollieren sollen, ein Band: die journalistische Sekundage einer Bundespolitik, die von den Bürgern mehrheitlich abgelehnt wird, wie zum Beispiel bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. 

Die „Lügenpresse“ wehre sich Krüger zufolge ab und an mit dem Argument, es gäbe doch auch kritische Berichte, die gegen den „Mainstream“ verliefen. Ein Feigenblatt, denn „es scheint genau das Wesen des Mainstreams in einer demokratischen Mediengesellschaft zu sein: nämlich daß kritische Perspektiven und abweichende Meinungen durchaus einmal vorkommen, aber keinen Einfluß auf die Folgeberichterstattung und die von Tag zu Tag fortgesetzte Erzählung der Geschehnisse in den Hauptnachrichtensendungen und großen Zeitungen haben.“

Uwe Krüger: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. Verlag C.H.Beck, München 2016, broschiert, 170 Seiten, 14,95 Euro