© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Nicht immer lieb und nett
Landfrauenverband: Kaum bekannt, doch mit 500.000 Mitgliedern eine starke Lobbygruppe
Verena Inauen

Landfrauen? Wohl für viele ein  eher vager Begriff. Kochrezepte, ländliche Idylle und ein etwas altbackenes Image wird zumeist mit ihnen verbunden. Doch mit einer knappen halben Million Mitgliedern zählen sie zu den stärksten Interessensvereinigungen im Bundesgebiet – und stehen damit für eine relevante Wählerschaft. 

Kuchen- und Schweinebratenrezepte sind für die unlängst wiedergewählte Präsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes e.V. (dlv), Brigitte Scherb, mittlerweile nur noch ein Randthema. Die 63jährige Juristin und dreifache Mutter ist neben ihrer Tätigkeit als Landfrau hauptberufliche Geschäftsführerin des Gewässerunterhaltungsverbandes und betrieb bis vor wenigen Jahren auch noch das landwirtschaftliche Familienunternehmen im Landkreis Goslar. Zum Landfrauentag am 6. Juli  wurde sie nach bereits zehnjähriger Tätigkeit in ihrem Amt bestätigt. 

Nicht nur kochen, auch den Mund aufmachen

Der ehrenamtlichen Vorstandsfunktionärin folgen ebenso erfolgreiche Vizepräsidentinnen. Die 52jährige Agnes Witschen ist selbständige landwirtschaftliche Unternehmerin mit den Betriebszweigen Hähnchenmast und Ackerbau. Ihre Kollegin Anneliese Göller weist als vierfache Mutter einen Abschluß als Groß- und Außenhandelskauffrau auf und engagiert sich ehrenamtlich in Sozial- sowie in Verwaltungsgerichten. 

Mit den weiteren Beisitzenden im dlv-Präsidium verbindet sie alle nicht nur die Tätigkeit in landwirtschaftlichen Traditionsbetrieben, sondern auch der Mut zur Familie. Gemeinsam setzen sie sich nach eigenen Angaben für die rechtliche Situation der Frauen sowie für Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Eines ihrer wichtigsten Ziele dabei ist die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im ländlichen Raum. 

Ein immer noch brandaktuelles Thema, wie die Pressebeauftragte Ina Krauß im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT erklärt. Seit der Gründung von landwirtschaftlichen Hausfrauenvereinen bereits vor der Jahrhundertwende haben sich die Umgebungsbedingungen zwar geändert, die Problematik der ungleichen Entlohnung und schlechteren Arbeitsbedingungen seien jedoch geblieben. 

Vor allem junge Frauen zieht es vermehrt in größere Städte, da die Berufs- und Ausbildungschancen dort vielfältiger sind. Viele hegen zu Beginn noch den Wunsch, nach einer befristeten Zeit in ihren Heimatort zurückzukehren und dort eine Familie zu gründen. Mobilität, Betreuungsplätze, aber auch die Aussicht auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz in der Stadt sprechen allerdings oft dagegen. Gerade vor dem Hintergrund, daß Frauen auf dem Land 33 Prozent weniger Lohn als Männer bekämen, müsse die Wirtschaftsförderung im ländlichen Raum sich endlich stärker auf die „gut ausgebildeten jungen Frauen ausrichten und ihnen Perspektiven bieten“, fordern die Landfrauen in ihrem Positionspapier „Gehen und Wiederkommen“.

Scherb und Kolleginnen zeigen sich dabei omnipräsent und kämpferisch. „Landwirte gehören neben Ärzten und Lehrern zu den anerkanntesten Berufsgruppen“, doch im Fernsehen würden sie nur als „Deppen von ‘Bauer sucht Frau’, Rosamunde Pilchers Landlords und Massentierhalter“ gezeigt, setzte Scherb bei den Braunsbacher Wintergesprächen dem Haller Tagblatt zufolge den Finger auf die Wunde. Sicher, so die Niedersächsin weiter, gebe es das übliche Image über die Landfrauen „Ländlich-Kinder-Küche-Kirche“. Dies werde auch genährt durch „lieb und nett“ daherkommende „traditionelle Ortsvereine“, mit „Jahresprogramm und Torte“. Doch um nicht ewig „abschätzig“ als kaffeetrinkende Bienen tituliert“ zu werden, müsse sich noch „was ändern.“ Sicher sei es schön, „Kuchen für Feste zu backen und Erntekronen zu liefern“, dennboch müßten in den Ortsvereinen „häufiger Mißtände angesprochen“ werden. „Seien Sie kämpferisch, machen Sie den Mund auf, äußern Sie Wünsche“, ermuntert sie ihre Klientel und setzt mit ihrer Arbeit Zeichen. 

Von der Herdprämie will der dlv nichts wissen

Der dlv appelliert an die Agrarministerkonferenz, die Zukunft der landwirtschaftlichen Betriebe zu sichern,  er plädiert für einen Kurswechsel in der Rentenpolitik („Altersvorsorge darf nicht zum Glücksspiel werden. Wer viele Jahre in die Rentenkasse einzahlt oder gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, muß im Alter abgesichert sein und angemessen leben können“), fordert eine höhere Wertschätzung von Fürsorgearbeit in unserer Gesellschaft. Gemeinsam streiten die Landfrauen nicht nur für eine „gerechtere Bezahlung“ des weiblichen Teils der Gesellschaft, sie setzen sich für Geschlechterquoten ein und lehnen das von der CDU vorangetriebene Betreuungsgeld als „Herdprämie“ ab. 

Die dlv-Pressestelle ist gut ausgebaut, und die Landfrauen sind bestens mit der Politik vernetzt oder selbst dort tätig. „Beziehungen zu Personen herzustellen, die die Politik in diesem Lande prägen, ist Auftrag des Deutschen Landfrauenverbandes als Interessenvertretung seiner Mitglieder“, heißt es etwa zum Thema Lobbyarbeit. „Eine Hand wäscht die andere“, wird bei den deutschen Landfrauen ernst genommen und neben einer Checkliste zu diesem Verhalten werden Seminare abgehalten. 

Den Eindruck der Unionslastigkeit versucht die Pressesprecherin im Gespräch vom Tisch zu wischen. Sie verweist auf beste Vernetzungen zu allen Bundestagsfraktionen. Regelmäßig stelle man von der Vereinszentrale in Berlin aus sämtlichen Parteien Mitglieder und ihre Positionen vor: „Die wissen alle, welche Themen wir auf der Pfanne haben.“ Dort wisse man um die Standpunkte der Landfrauen bestens Bescheid und unterstütze je nach Anliegen mehr oder weniger die Inhalte. 

Gäste wie etwa Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), welche am Landfrauentag kurzfristig von ihrem Staatssekretär Ralf Kleindiek vertreten wurde, seien ebenso zum ständigen Diskurs geladen wie etwa Bodo Ramelow als Vertreter der Linken. Ihn hätten die Landfrauen nicht nur „als besonderes Schmankerl“ zum Landfrauentag eingeladen, wie Krauß betont, sondern um in Erfurt einen breiteren Wirkungskreis zu erzielen. 

Dennoch glich der Auftritt Angela Merkels in der thüringischen Landeshauptstadt einem Heimspiel. Umjubelt von knapp 5.000 Besucherinnen betrat die Kanzlerin die Messehalle und zeigte sich voll des Lobes. Man „könne gar nicht hoch genug schätzen, was Sie in unserem Land und für unser Land tun. Sie machen sich im wahrsten Sinne des Wortes um unser Gemeinwohl verdient. Sie tun das vor Ort, nicht durch Reden, sondern durch Handeln, tatkräftiges Anpacken“, lobte Merkel das anwesende Publikum.

 An der Milchkrise kam sie dabei nicht vorbei und beruhigte ihre Zuhörer mit einem breiten Hilfspaket durch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt: „Es geht im wahrsten Sinne des Wortes um unser tägliches Brot“, so die Kanzlerin, um sodann zügig zur Zuwanderungsthematik überzugehen.

Der „Zuzug“ der vielen Menschen habe „uns alle“ vor große Herausforderungen gestellt. Doch „gerade ohne die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer hätten wir das nicht bewältigen können. Ich sage auch den Landfrauen ein ganz herzliches Dankeschön für das, was sie gemacht haben und was sie weiter tun“, verkündete die CDU-Vorsitzende.  Überhaupt sei erfolgreiche Integration  eine Frage des „gegenseitigen Gebens und Nehmens“, so Merkel weiter. Gerade ländliche Regionen böten hier „gute Chancen“. Meistens sei hier Wohnraum etwas leichter verfügbar, so daß Flüchtlinge  schneller aus Sammelunterkünften herauskommen und mehr Privatsphäre gewinnen könnten. Neuankömmlingen falle es leichter, sich zu orientieren, einen Überblick zu bekommen. Damit werde es „vielleicht auch in bezug auf das Sicherheitsgefühl für alle Beteiligten leichter im Vergleich zum etwas anonymeren Leben in Städten“. 

In ihren abschließenden Worten stellte die Physikerin schließlich fest, daß auch sie bestimmt ein tolles Mitglied wäre und erntete dafür tosenden Beifall.

Überalterung als Grundproblem  

Kein Wunder. Denn jedes Mitglied zählt. Auch der deutsche Landfrauenverband mit einem relativ hohen Altersschnitt und Nachwuchsmangel zu kämpfen. Dies hat auch der Landfrauen-Ortsverband Kierspe (Westfalen-Lippe) längst realisiert. Noch im Januar 2014 waren die 108 Mitglieder überwiegend im fortgeschrittenen Alter. Ziel war es daher, nachhaltig junge Frauen zu gewinnen. Binnen eines Jahres konnten die Landfrauen 26 neue junge Mitglieder für sich begeistern. 

Das gelang auch hier mit einem zielgruppengerechten Angebot. Auftakt für interessierte Frauen war die Veranstaltung „Erste Hilfe für Kleinkinder“. Ein Fragebogen, der die Wünsche und Sorgen potentieller Mitgliedsfrauen erfaßte, ging in Umlauf. Entsprechend wurde das künftige Programm des Ortverbands ausgerichtet. Beim zweiten Treffen „Barfußpfad und Zitronenduft“ entspannten die jungen Frauen bei einem Wellnessabend. Das dritte Treffen stand im Zeichen der Programmplanung. Weil insbesondere junge Menschen moderne Medien intensiv nutzen, wurden die klassischen Kommunikationskanäle wie Print und Online um Facebook und eine WhatsApp-Gruppe „Junge Frauen“ ergänzt.

Für ihr Engagement belegten die Kiersper Landfrauen Platz zwei bei der dlv-Auszeichnung für erfolgreiche Mitgliederentwicklung. Platz eins errangen die Landfrauen aus Emstek (Weser-Ems)mit einem „Kartoffelnachmittag für Jung und Alt“ –  inklusive Kartoffelernte, gemeinsamem Kartoffelschälen, Kochen und einem sich anschließenden Kartoffelfeuer. 





Landfrauenverband

Der Deutsche Landfrauenverband (dlv)  wurde am 20. Oktober 1948 gegründet. Die Anfänge der Landfrauenverbände liegen jedoch schon weiter zurück. Vorläufer waren die landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine, die Ende des 19. Jahrhunderts von der Ostpreußin Elisabet Boehm ins Leben gerufen wurden. Im Zuge der Machtübernahme durch die NSDAP wurden 1934 die Vereine aufgelöst und in den Reichsnährstand eingegliedert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die ersten Landfrauenvereine in der amerikanischen Besatzungszone als Nachfolgeorganisationen der landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine gegründet. Nach der deutsch-deutschen Vereinigung gründeten sich Anfang der 1990er-Jahre auch in den östlichen Bundesländern Landfrauenvereine, deren Landesorganisationen dem dlv  beigetreten sind. Dlv-Mitglieder sind 22 Landes-Landfrauenverbände mit rund 430 Kreis- und mehr als 12.000 Ortsvereinen. In den Ortsvereinen sind cirka  500.000 Frauen Mitglied.