© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Wer glaubt noch den TV-Quoten?
Das Fernsehverhalten der Deutschen wird mit einer veralteten und zweifelhaften Technik gemessen
Ronald Berthold

Es war ein normaler Dienstag. Nichts im Fernsehen, was auf Dauer haften bliebe. Die Fußball-EM war beendet. Aber an jenem 12. Juli 2016 sollen die Deutschen ab 14 Jahren angeblich durchschnittlich 207 Minuten Fernsehen geschaut haben, also ziemlich genau dreieinhalb Stunden. Das heißt: Hat eine Person den Tag im Freibad oder Biergarten verbracht, so müßte eine andere bereits sieben Stunden vor der Glotze gehangen haben, um das auszugleichen.

Noch besser fallen die Angaben für das gesamte vergangene Jahr aus: Dort soll jeder Deutsche ab einem Alter von drei Jahren täglich, also von Januar bis Dezember und Montag bis Sonntag, 223 Minuten, also fast vier Stunden, in die Röhre geschaut haben.

Wie glaubwürdig sind diese Zahlen, auf denen die Einschaltquoten basieren? Sie gelten als „Währung“ im Fernsehgeschäft. Und es gibt nur die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die diese „Fernsehnutzungsdaten“ erhebt. Mitbewerber, wie zum Beispiel bei Wahlumfragen, gibt es nicht. Auch die Erfassung absoluter Zahlen wie bei den Zeitungsauflagen oder beim Anschauen von Youtube-Videos findet hier nicht statt. Das heißt, die Daten unterliegen weder einem Konkurrenzdruck noch einer Prüfung. Das einzige, was bei diesen Hochrechnungen möglich ist, ist die Plausibilitätskontrolle.

Ist es also wirklich plausibel, daß 2015 – einem Jahr ohne die „Straßenfeger“ Fußball-WM, -EM und Olympia – jeder von uns täglich vier Stunden vor dem Fernseher zugebracht hat? Hat jemand einen Tag das Gerät ausgelassen, so müßte er am nächsten schon acht Stunden geschaut haben. Von drei Wochen Sommerurlaub im Ausland ganz zu schweigen. Hinzu kommt: Die GfK geht dabei ohnehin nur von 30 Millionen Stammzuschauern aus. Die übrigen 45 Millionen Deutschen ab drei Jahren schauen selten bis gar nicht.

Sollten die Daten geschönt dargestellt sein, so liegt das durchaus im Interesse des Auftraggebers. Denn das ist die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), ein Zusammenschluß von ARD, ZDF, ProSiebenSat.1 Media AG und der Mediengruppe RTL Deutschland. Je höher die GfK die Zuschauerzahlen ausweist, desto relevanter erscheint die Arbeit ihrer Kunden und desto teurer wird ein Werbespot. Heißt: Jede Fernsehminute ist bares Geld wert.

Laut AGF hat die GfK seit dem 1. Juli 2012 genau 5.000 Haushalte in Deutschland mit einem sogenannten „Telecontrol Score“ ausgestattet. Diese darin lebenden 10.500 Personen schauen also repräsentativ für alle in Deutschland lebenden Menschen ab drei fern. 

Der Haken: Diese nicht gerade einfach zu bedienenden Meßgeräte verursachen bei den Nutzern durch Kabelsalat und zusätzliche Fernbedienungen keine Wohlfühlatmosphäre, sondern eher Streß. 

Da niemand verpflichtet werden kann, sich mit einem solchen Apparat das Wohnzimmer zu verunstalten, lehnen das viele ausgesuchte Personen ab. Wer läßt sich ihn dann installieren? Womöglich nicht unbedingt Menschen, die tatsächlich für die gesamte Bevölkerung stehen. Und womöglich sogar Leute, für die Fernsehen ein sehr wichtiger Lebensinhalt ist. Wer einen „Telecontrol Score“ hat, sollte ihn auch zuverlässig benutzen. 

Das heißt, er muß einen Knopf drücken, sobald er den Fernseher anmacht, schaltet er um, muß wieder gedrückt werden. Kommt eine weitere Person dazu, muß diese ebenfalls drücken. Und vor allem darf niemand vergessen, die Quotenbox wieder auszuschalten, wenn die Familie dann doch ins Bett geht. Ansonsten glaubt die GfK, daß die ganze Nacht durchgeschaut wird.

Eine Vielzahl von Pannen nährt weitere Zweifel

Nach eigenen Angaben gewichtet die GfK ihre ausgewählten Zuschauer so genau, daß „eine exakte Hochrechnung auf alle Fernsehhaushalte der Grundgesamtheit und alle darin lebenden Personen ab drei Jahren“ gewährleistet sei: „Dies gilt sowohl für Deutschland insgesamt als auch für die einzelnen Bundesländer.“

Das ist schon insofern zweifelhaft, als daß die GfK grundsätzlich keine Büros, Hotels, Kasernen, Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser und Studentenwohnheime mit ihren Meßgeräten ausstattet. Auch Kneipen, Restaurants und sogenannte Fanmeilen werden nicht erfaßt. 

Das heißt, daß bei Fußballübertragungen eher zuwenig Zuschauer ausgewiesen werden. Ist es zum Beispiel plausibel, daß die höchste bisher jemals gemessene Einschaltquote am 13. Juli 2014 wirklich bei 34,65 Millionen Menschen lag? Das würde bedeuten, daß 40 Millionen – also eine Mehrheit – das Fußball-WM-Endspiel Deutschland – Argentinien nicht gesehen hätten.

Auch wenn die Quoten allen heilig sind und angeblich so zuverlässig ermittelt werden, muß die GfK immer wieder Pannen einräumen. So hat vor Jahren ein Computerfehler über mehrere Wochen 15 Prozent der Testhaushalte nur den Sendern RTL, RTL2 sowie dem schwedischen TV3 zugeordnet. Und daß für Arte eines Tages um 13 Uhr 50.000 Zuschauer ermittelt werden, ist ebenfalls merkwürdig. Denn der Kulturkanal hat zu diesem fraglichen Zeitpunkt gar nicht gesendet.