© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Die Romantik kann zurückkehren
Ökologische Zwischenbilanz: Der Rhein ist in keinem guten Zustand, aber er ist auf dem Weg dahin
Christoph Keller

Als Clemens Brentano, Heinrich Heine, Victor Hugo, Lord Byron oder Friedrich Schlegel dem Rhein romantische Denkmäler setzten, war mit dem 1.233 Kilometer langen Strom ökologisch noch alles in Ordnung. Doch schon als 1897 die berühmte Bronzeplastik „Vater Rhein und seine Töchter“ in Düsseldorf enthüllt wurde, war von Rheinromantik nur noch wenig zu spüren. Die wichtigste deutsche Wirtschaftsader befand sich auf dem Weg in eine ungesunde Zukunft.

Mit Beginn der massiven Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Nutzungsintensität im Umfeld des Rheins permanent an: Schiffahrt, Wasserkraft, Entnahmen und Einleitungen der Industrie, Siedlungswasserwirtschaft, Landwirtschaft, Trinkwasserversorgung und Hochwasserschutz haben dem „Mythos Rhein“, dem deutschen Märchen- und Sagenfluß Mitte des 20. Jahrhunderts sogar den Ruf eingetragen, nicht mehr als ein von allem Leben befreiter Abwasserkanal zu sein.

Große Fortschritte ebenso wie enorme Defizite

Zwanzig Jahre bevor sich in Westdeutschland der Umweltschutz politisch formierte, zwang daher die desolate ökologische Verfassung des Rheins zur Umkehr: 1963 wurden die Deutsche Kommission zur Reinhaltung des Rheins und eine gleichnamige Arbeitsgemeinschaft der Bundesländer gegründet. Deren Aufgabe übernahm 2012 die Flußgebietsgemeinschaft Rhein (FGG Rhein), von der sich Bund und Länder eine weitere Verbesserung der nationalen wie internationalen Koordination des Gewässerschutzes versprachen.

Aus ihren seit Dezember 2015 vorliegenden, aktualisierten Bewirtschaftungsplänen geht jedoch hervor, daß die ambitionierten Ziele und Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie nur für einen Teil des Rheins, seiner Zuflüsse, der Hunderte von Grund- und Oberwasserkörper erreicht werden konnten. Ob man die Ziele auch verfehlte, weil die behördlichen „Flußretter“ sie in ihrem Gestrüpp der Institutionen häufig aus den Augen verloren, ist ein Verdacht, den die Arbeitsbilanz von Wilhelm Bouwer, der die FGG-Geschäftsstelle in Worms leitet, nicht ganz entkräften kann (Wasser und Abfall, 6/16).

Doch jenseits solcher Anhaltspunkte für Ursachenforschung und Schuldverteilung stellt Bouwer die aktuelle „Bewirtschaftungssituation“ am Rhein in nüchternen Zahlen dar. Die widersprechen seinem optimistischen Fazit, der Rhein sei „auf dem Weg zum guten Zustand“, nur scheinbar. Denn der Fluß, in dessen 105.000 Quadratkilometer umfassendem Einzugsgebiet derzeit etwa 37 Millionen Menschen leben, ist nach fünfzigjähriger Anstrengung tatsächlich immer noch „auf dem Weg“, nicht aber in einem wirklich guten Zustand.

Das belegt Bouwer mit wenigen Daten, die große Fortschritte ebenso anzeigen wie enorme Defizite. So wurden, obwohl die kommunale Abwasserreinigung überall den EU-Richtlinien entspricht, an 63 Prozent der Oberflächenwasserkörper „signifikante Belastungen“ aus Kläranlagen festgestellt. Sogar 73 Prozent wiesen Nährstoffbelastungen „aus diffusen Quellen“ auf. Was präziser heißt: aus Einträgen der Landwirtschaft. Darüber hinaus seien die meisten Fließgewässer biologisch nicht oder nur teilweise durchgängig. Nicht weniger als 81 Prozent von ihnen wiesen derartige hydromorphologische Belastungen auf. 

Eine Mängelliste, aus der Bouwer errechnet, daß 82 Prozent der Fluß- und 38 Prozent der Seewasserkörper den politisch geforderten „guten ökologischen Zustand“ nicht erreicht haben. Noch alarmierender ist der Befund zum chemischen Zustand, der, da die Quecksilberwerte bei Fischen flächendeckend überschritten worden seien, eindeutig als „nicht gut“ zu bewerten sei.

Besorgnis errege auch die zu hohe Nitrat-Belastung, die 161 Grundwasserkörpern (35 Prozent) zusetze. Aufmerksamkeit verdiene auf der ökologischen Sollseite dieser Inventur ebenso der Braunkohletagebau am linken Niederrhein. Dort würden Gruben mit einer Tiefe von einigen hundert Metern betrieben. Um einen sicheren Abbau zu gewährleisten, müsse man darum das Grundwasser tief absenken. Das habe langfristig nachteilige Auswirkungen auf den mengenmäßigen Grundwasserzustand und verändere, mit Einträgen von Sulfaten, Schwermetallen, Ammonium, den chemischen Zustand des Wassers.

Trotzdem bleibe der Anspruch der FGG Rhein bestehen, bis 2027 zumindest die Mehrzahl der Wasserkörper in einen „guten Zustand“ zu bringen. Dafür müssen bis 2021, dem Ende der zweiten Bewirtschaftungsperiode, neue Ansätze und Maßnahmen in „vollem Umfang“ realisiert werden. Einer ungeduldigen Öffentlichkeit sollte jedoch auch die Wahrheit zugemutet werden, daß es viel Zeit brauche, bevor menschlich verursachte Umweltschäden behoben seien.

Internationale Rheinschutzkommission:  www.iksr.org

Flußgebietsgemeinschaft Rhein:  www.fgg-rhein.de