© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/16 / 12. August 2016

Alain Finkielkraut ist Frankreichs wichtigster konservativer Philosoph
Der Wahrheit ins Gesicht
Alain de Benoist

Das linke Magazin Challenges hat ihn als den „rechtesten Intellektuellen Frankreichs“ bezeichnet, weil er den „durchgedrehten Antirassismus“ geißelte. In Wirklichkeit zählt der 67jährige Philosoph Alain Finkielkraut zu den wenigen französischen Intellektuellen, die sich als politisch konservativ einordnen lassen. Sein Werk steht unter dem Einfluß von Hannah Arendt, Leo Strauss, Milan Kundera, Charles Péguy und Heidegger – und unter dem Eindruck der Verzweiflung über die fortschreitende Auflösung sowohl der französischen wie auch der europäischen Identität. 

In seinem letzten Buch, einer Sammlung seiner Radiokolumnen für den französisch-jüdischen Sender Radio J, äußerte er vehemente Kritik an Angela Merkels Einwanderungspolitik der offenen Türen, die sich ohne „Rücksicht auf die Folgen“ über die Gebote der Verantwortungsethik hinwegsetze. In einem Interview mit der Zeit warf er ihr darüber hinaus „Inkonsequenz“ vor. Dabei, so betont er, spreche er nicht aus „Fremdenhaß, sondern aus gesundem Menschenverstand“.

Finkielkraut, geboren 1949 in Paris, kritisiert den „Moralismus der Europäer“ und spricht von „der Entstehung einer Koalition zwischen der Linken und den Arbeitgebern. Aus Arbeitgebersicht – das gilt für Frankreich wie für Deutschland – sind die Menschen austauschbar, daher wird der Zuzug von Einwanderern begrüßt, weil sie die Löhne drücken.“ Die Austauschbarkeit in sämtlichen Lebensbereichen – egal, ob es sich um Menschen, Kulturen oder Geschlechter handelt – ist ein zentrales Anliegen der gegenwärtig vorherrschenden Ideologie. Unsere Epoche scheint außerstande, Unterschiede zu erkennen; daher die Wahnvorstellung, man könne ohne jede Rücksicht auf die Wertegemeinschaft der Aufnahmegesellschaft Millionen Menschen aus anderen Kulturen importieren, um die Marktnachfrage zu befriedigen. 

Finkielkraut hat selbst „Migrationshintergrund“. Sein Vater, ein marokkanischer Jude, verließ Polen in den dreißiger Jahren und überlebte Auschwitz. Aber gerade weil er selbst als Sohn eines Einwanderers aufwuchs, betont Finkielkraut immer wieder, wieviel er der französischen Kultur verdanke. Heute aber „werden wir Zeuge, wie Frankreich auseinanderbricht. Aus einem Land, das einst als Modell galt, wird ein abschreckendes Beispiel: Eben um nicht Frankreichs Schicksal zu erleiden, weigern sich die mitteleuropäischen Staaten beharrlich, einer Quotenregelung für die Aufnahme von Asylbewerbern zuzustimmen.“ 

Finkielkrauts jüngstes Buch trägt den programmatischen Titel „La seule exactitude“ (zu deutsch etwa: „Mit einzigartiger Genauigkeit“). Programmatisch insofern, als er eine exakte Einschätzung des historischen Moments vornimmt, den wir durchleben. „Genauigkeit“ bedeute, so Finkielkraut, „den Dingen ins Gesicht zu sehen“.