© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/16 / 12. August 2016

Halbwahrheiten und Gemeinplätze
Herrschaftsmittel: Bis in bürgerliche Medien hinein wird ein antirassistischer Jargon gepflegt
Karlheinz Weißmann

Es gibt in unserem Land einen antirassistischen Jargon. In den Redaktionsstuben und unter den Lesern geht er um wie in den Evangelischen Akademien oder den Seminaren der katholischen Erwachsenenarbeit, er hat sich in den Kommentaren genauso festgesetzt wie in den Predigten, in den Vorträgen wie in den Lehrbüchern der Schulen, in den Köpfen der Soziologen und der Demoskopen und selbstverständlich in den Äußerungen der neueren Pseudodisziplinen und in den Verlautbarungen der Parteien, die bis dato über das Schicksal der Nation entscheiden.

Wie jeder Jargon ist auch dieser abgeschmackt. Es handelt sich um eine Menge an Redensarten, Halbwahrheiten und Gemeinplätzen, nicht mehr, nicht weniger. Aber wie jeder Jargon, der es zu etwas gebracht hat, ist auch dieser zählebig. Und diese Zählebigkeit erklärt sich aus seinem Nutzen für die, die ihn beherrschen, denn um ein Herrschaftsmittel geht es ohne Zweifel. Vor allem aber erklärt sie sich – die Zählebigkeit – aus der Tatsache, daß die Masse der Verwender gar nicht merkt, daß es um einen Jargon geht. Sie glaubt, ganz einfach für das Gute und Wahre einzutreten.

Persönliche Betroffenheit ins Spiel gebracht

Anna Prizkau zum Beispiel glaubt das. Deshalb hat sie im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom vergangenen Wochenende einen Artikel unter dem Titel „Rassismus“ veröffentlicht, der mit einem flammenden Appell endet: „Nein, jetzt reicht es endgültig. Dieser Rassismus muß zurück ins Abseits, an den Rand der Gesellschaft.“ Da hat er sich nach Meinung von Frau Prizkau wegbewegt, hin zur Mitte des sozialen Gefüges.

Kein besonders origineller Ansatz, wird man sagen, aber die Verfasserin macht einige Anstrengungen, die Aufmerksamkeit des Lesers zu halten: indem sie – nach eigenem Bekenntnis eine Linke – ihren Text nicht in randständigen Organen der Antifa publizierte, sondern in einem bürgerlichen Leitorgan, indem sie ihre persönliche Betroffenheit ins Spiel bringt, als jemand, der als Ausländer weiß, wie sich Diskriminierung anfühlt, und indem sie ihre Alltagsbeobachtungen mitteilt.

Die beziehen sich vor allem auf die Wahrnehmung, daß es neuerdings eine Neigung der „Ursprungsbevölkerung“ (Mazyek dixit) gibt, bei Fahrten mit den Berliner Nahverkehrsmitteln dem Unbehagen über die Menge an Zugezogenen Ausdruck zu geben. Der Ausdruck ist ein sehr verhaltener, was eine so wache Beobachterin wie Anna Prizkau aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß Furchtbares hinter leise gemurmelten Bemerkungen der Provinzler oder den abschätzigen Blicken der Autochthonen in der Hauptstadt lauert, und: „… es wird schlimmer jeden Tag. Sie werden schlimmer jeden Tag, die Sätze, die durch die Bahnen rollen, während die Bahnen in der Stadt rumrollen.“

Was Frau Prizkau eifrig in einem Notizbuch vermerkt, sind Sätze über „die da“, oder „Daß diese Leute unsere Kultur bereichern, ist eine Lüge“, oder „Gegen die Balkantypen habe ich nichts, die sind viel besser als die Araber“, oder „Ich finde, früher konnten sich Ausländer ja noch benehmen.“ In alldem, folgt man der Verfasserin, wird alltäglicher Rassismus manifest, einer, der nicht so schrill daherkommt wie der von AfD oder Pegida oder Stiefelnazis, aber doch als Indiz dafür genommen werden muß, daß „die Deutschen“ insgesamt auf die schiefe Bahn geraten, abrutschen, hinein in den Höllenschlund des Rassismus.

Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, daß wenigstens für einen Moment bei Frau Prizkau die Einsicht aufblitzt, daß man die jüngste Veränderung des politischen Klimas nicht ohne die sogenannte Flüchtlingskrise und die Anschläge der letzten Monate erklären kann. Aber aus dem Bekenntnis, man habe es mit dem „Anbeten“ der Flüchtlinge vielleicht ein wenig übertrieben und allzu selbstgewiß die linken Glaubenssätze herausposaunt, folgt nichts.

Symptom für Mängel des Denkvermögens 

Es bleibt bei der erstaunlichen Borniertheit, mit der sie ihren schlampigen Begriff von Rassismus traktiert und darauf beharrt, daß die Neigung sich deutlicher gegen Überfremdung zu äußern, nichts zu tun habe mit „den Ausländern“, nichts mit der Tatsache, daß sich unter ihnen Terroristen befinden, und selbstverständlich nichts mit der anhaltenden Massenmigration und der Sorge, sich demnächst im Eigenen gar nicht mehr wiederzufinden.

Man muß die „Früher-war-es-besser-Meinung“ nicht teilen – und Anna Prizkau teilt sie auf keinen Fall –, aber sie trifft eben den Kern der Sache: Früher gab es keine Debatte darüber, ob Schweinefleisch in der Kindergarten- oder Schulspeisung zumutbar sei, früher gab es keine „Multikultischwindeleien“ (Sven Freese) im Bildungswesen, früher gab es keine Probleme mit Menschen, die anderen den Handschlag verweigern. Früher gab es keine No-go-Areas in unseren Großstädten, früher gab es niemanden, der es gewagt hätte, die Umverteilung deutscher Kassenbeiträge auf Reingeschmeckte zu erwägen. Früher gab es keine Unterwanderung von Institutionen durch Leute, die auf Kommandozentralen im Nahen Osten hören; früher gab es keine Quoten für jene, die wahlweise als ganz und gar gleiche betrachtet werden möchten, oder aber als ganz und gar andere, je nachdem, was ihnen Sitz, Gehör und Pfründen verschafft. Früher gab es keine Organisierte Kriminalität, die auszuschalten schon deshalb unmöglich ist, weil sie nach dem Prinzip völkischer Exklusivität arbeitet; früher gab es keine allgegenwärtige Terrorgefahr, von der uns die Verantwortlichen sagen, daß wir uns an sie gewöhnen sollten.

Wenn das Anna Prizkau nicht gewärtig ist, hat das sicher mit Voreingenommenheit zu tun, aber mehr noch mit analytischer Schwäche. Beispielhaft dafür kann diese Satzfolge von ihr stehen: „Denn Flüchtlinge können für Rassismus nichts. Und dieser Satz erlaubt keinen Widerspruch, er ist logisch. Da Schuld an Aggressionen niemals der hat, gegen den sich Aggressionen richten.“ Das ist sicher kein Ausrutscher, sondern ein Symptom. Ein Symptom für Mängel des Denkvermögens, die man in einer Zeitung, die gern mit dem Hinweis wirbt, daß ihre Macher wie ihre Leser zu den „klugen Köpfen“ zählen, eigentlich nicht dulden sollte.

Wenn das doch geschieht, ist das erklärungsbedürftig. Eine Erklärung geht so: Jedes Medium muß sich am Markt behaupten, bleibt also darauf angewiesen, nach dem zu fragen, was die Leute wollen. Vielleicht gibt es also eine Analyse irgendwelcher Institute, die den Leuten in der Hellerhofstraße suggeriert, daß die Konsumenten der FAS Texte wie die von Anna Prizkau zu schätzen wissen oder daß eine neue Kundschaft nur darauf wartet, mit Argumenten bedient zu werden, die man eher in der linksalternativen taz erwartet. Vielleicht hat man es aber auch mit einem Versuch zu tun, jene Ausgewogenheit aufrechtzuerhalten, die früher zu den Erfolgsrezepten der Frankfurter Allgemeinen gehörte: schwarz-rot-gold, also ein konservativer „schwarzer“ Politikteil, ein progressives „rotes“ Feuilleton und ein liberaler „goldener“ Wirtschaftsbereich. Aber das würde eine souveräne Sicht der Dinge voraussetzen, die man bei der Entwicklung der „Zeitung für Deutschland“ in den vergangenen Jahren kaum noch erkennen konnte.

Journalisten stehen politisch eher links

Angesichts dessen bleibt im Grunde nur eine Erklärungsmöglichkeit über: Autoren wie Anna Prizkau geben das wieder, was auch die Verantwortlichen eigentlich und im Grunde für richtig halten. Zum besseren Verständnis zwei Hinweise. Erstens: Vor einigen Wochen wurde in der Schweiz eine Untersuchung über die politische Einstellung von Redakteuren veröffentlicht. Das Ergebnis war kaum überraschend. Zwei Drittel sind links, von irgendwie mittelinks über grün-alternativ bis linksradikal. Das gilt auch für die bürgerlichen Blätter. Entsprechende Studien in der Bundesrepublik sprechen dafür, daß zwischen der deutschen und der schweizerischen Situation kein Unterschied besteht. Auch hierzulande schlägt das Herz von Journalisten mehrheitlich links. Zweitens: Mir geht die Äußerung des Mitarbeiters eines großen etablierten Blattes nicht aus dem Sinn, der über die Bewerber, die sich bei ihm vorstellten, äußerte: „Wenn man die fragt, wo sie politisch stehen, dann antworten die meisten: ‘eher links’.“