© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

„Wir haben eine Illusion geschaffen“
Der Publizist Andreas Lombard provoziert in seinem neuen Buch mit der These: „Homosexualität gibt es nicht“. Was verbirgt sich dahinter?
Moritz Schwarz

Herr Lombard, ist Ihr Buch „homophob“?

Andreas Lombard: Nein, wenn Sie mit „Homophobie“ Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit meinen.

Ihr Buchtitel postuliert: „Homosexualität gibt es nicht“. Was meinen Sie damit?

Lombard: Natürlich gibt es sexuelle Anziehung und Liebe zwischen Menschen gleichen Geschlechts. In meinem Buch gehe ich sogar von der authentischen Geschichte eines Mannes aus, der lange Zeit homosexuell gelebt hat. Was ich kritisiere, ist vielmehr, daß das Wort „Homosexualität“ heute vielen als eine Art Zauberformel gilt, als wäre es der Schlüssel zu einem glücklichen Leben. Vor gar nicht langer Zeit wurde die homosexuelle Neigung noch als „tragisch“ bezeichnet. Es mag Gründe geben, das nicht mehr zu tun. Aber ich bezweifle, daß wir der Realität homosexuellen Lebens dadurch näher gekommen sind. Wir idealisieren Homosexualität heute gerne folgendermaßen: Die Neigung an sich ist „gut“, alle Widerstände dagegen, womöglich auch die eigenen, sind „böse“. Das aber entspricht nicht der Wirklichkeit. Unser Begriff von Homosexualität ist vielmehr eine Erfindung der Moderne beziehungsweise der sexuellen Revolution - ein positives Vorurteil.

Mit „Homosexualität“ meinen Sie also das kulturelle Konstrukt, das wir daraus gemacht haben? 

Lombard: Das Konstrukt als solches gibt es natürlich auch. Aber ich beobachte, daß die eifrigsten Konstrukteure persönlich oft heterosexuell leben. Als Homosexueller wäre ich da mißtrauisch. Ich würde mich fragen, was die bezwecken. 

Der Titel Ihres Buches soll also provozieren. Welche Debatte wollen Sie anstoßen?

Lombard: Der Kampf gegen Diskriminierung ist ein legitimes Anliegen der Schwulen und Lesben, aber man fragt sich zuwenig, welchen Interessen dabei gedient wird. Mir geht es um unrealistische Erwartungen und um mögliche Enttäuschungen. Es ist die Illusion entstanden, Homosexualität sei eine Art enttäuschungssicheres Identitätskonzept, eine Art Versprechen, das vor den Fährnissen des Lebens schützt. Denn wenn alle Nachteile angeblich nur auf die fehlende oder unvollkommene „Gleichstellung“ zurückgehen, entsteht der Eindruck, die Sache selbst sei vollkommen unproblematisch. Das wäre zu schön, um wahr zu sein! Tatsächlich entlastet eine homosexuelle Neigung jedoch nicht von der Verantwortung für das eigene Leben, und sie schützt auch nicht vor den Zumutungen, denen jeder von uns als soziales Wesen ausgesetzt ist, egal wie er lebt. Mir geht es weniger um eine öffentliche Debatte als mehr um persönliches Nachdenken. 

Sie analysieren in Ihrem Buch, daß das Konstrukt Homosexualität eine dominante Rolle im Kampf um die kulturelle Hegemonie in unserer Gesellschaft erlangt hat. Wie war dies möglich, wo sie doch nur Sache einer Minderheit ist?

Lombard: Vermutlich hängt das mit unserem verunsicherten Verhältnis zur Weitergabe des Lebens zusammen. Kinder zu haben ist bei weitem nicht mehr selbstverständlich, sondern eine Option unter vielen. Peter Sloterdijk spricht sogar vom „antigenealogischen Projekt der Moderne“. Möglicherweise spielen die Homosexuellen in diesem Zusammenhang eine stützende oder stabilisierende Rolle – zum Beispiel für diejenigen, die selbst gar nicht homosexuell leben, aber auch der Frage nach der Fortpflanzung ausweichen. Wenn solche „Heteros“ die Homosexuellen zu sich sozusagen „heraufziehen“, sind auch die Heterosexuellen bis zu einem gewissen Grade von der Weitergabe des Lebens entlastet. Manchem mag das verlockend erscheinen. Die Homosexuellen „helfen“ uns quasi, die Augen vor der traurigen Tatsache massenhafter Kinderlosigkeit zu verschließen. Hinzu kommt die wichtige Rolle der Homosexuellen als Türöffner für den flächendeckenden Ausbau der Reproduktionsmedizin. Mit ihrer Hilfe öffnet sich da ein weltweiter Markt.

Inwiefern?

Lombard: Der natürliche – „kostenlose“– Zeugungsvorgang wird durch die Reproduktionsmedizin gnadenlos monetarisiert und ökonomisiert. Unter dem Motto „Frauen helfen Frauen“ freunden sich sogar Feministinnen bereits mit der Leihmutterschaft an. Also Leute, die vor kurzem noch von „Gebärmaschinen“ sprachen, um ein Recht auf Abtreibung zu installieren. Dabei ist sogar für Schwule die natürliche Zeugung mit Hilfe der „Bechermethode“ jederzeit kostenlos möglich. Sie müssen nur wie alle anderen Männer die passende Frau finden. Die kann sich den Samen des Mannes mit einer Plastikspritze auch ohne Beischlaf einführen. Ich bewerte das nicht, ich will nur sagen, daß es das gibt.

Ist Ihr Buch nur eine kulturelle Analyse oder auch politische Stellungnahme?

Lombard: In erster Linie argumentiert das Buch auf der Basis von Erfahrungen, darüber hinaus anthropologisch und naturrechtlich. Ich gehe von einem positiven Bild der traditionellen Familie aus – denn die Sehnsucht danach ist offenkundig in uns allen tief verwurzelt. Die Forderung nach einem „Recht“ auf Ehe und Kinder zeigt ja, daß auch viele Homosexuelle diese Sehnsucht teilen. Doch naturgemäß hat die Homosexualität ihren Preis. Und hier beginnt der politische Teil des Buches. Bevor Erwachsene ein Recht auf Kinder haben, haben Kinder ein Recht auf ihre Eltern und zwar möglichst auf ihre eigenen. Ich bin entschieden dagegen, daß die sogenannte homosexuelle Elternschaft – nicht immer, aber sehr oft – den Ausschluß eines leiblichen Elternteils aus dem Familiensystem verursacht oder sogar voraussetzt. Ich halte das für eine vorsätzliche Vernachlässigung des Kindeswohls zugunsten der Emanzipation einer bestimmten Gruppe von Erwachsenen. Und was das Adoptionsrecht betrifft, finde ich, daß Kinder Vater und Mutter brauchen, also beide Geschlechter. 

Inwiefern ist der Kampf der Homosexuellen-Lobby tatsächlich gegen die Interessen der eigenen Zielgruppe gerichtet? 

Lombard: In einer freien Gesellschaft hat jede Gruppe das Recht, für ihre Interessen zu kämpfen. Dagegen habe ich nichts. Ich erwarte aber auch die Bereitschaft zu Verhandlung und Dialog. Diese Bereitschaft vermisse ich dort, wo einfach nur eine Forderung auf die nächste getürmt wird und die Betroffenen sich weigern, Verantwortung für sich und das eigene Leben zu übernehmen, indem alle Defizite dem „bösen“ Staat oder anonymer Diskriminierung angelastet werden. Wenn die Homosexuellenverbände stets alles fordern – und das Gegenteil noch dazu –, werden sie langfristig immer mehr Unmut provozieren. 

Allerdings betrachten Sie auch das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung der Homosexuellen kritisch. Geht das nicht eindeutig zu weit? 

Lombard: Für das Streben nach Anerkennung habe ich volles Verständnis. Aber wenn Anerkennung erzwungen wird, kommt Heuchelei zum Zuge. Eine geheuchelte Anerkennung würde mich persönlich nicht interessieren. Noch schwieriger wird es bei den Forderungen nach einem „Recht“ auf Ehe und Kinder. Kinder sind eine Frage der Verantwortung für das eigene Leben und nicht irgendeiner Zuteilung. Viele Schwule suchen sich längst auf eigene Faust eine Frau, die ein Kind von ihnen möchte, und ich frage mich, warum trotz der vielfach angewandten Bechermethode die Eizellspende und die künstliche Befruchtung als scheinbar einzig möglicher Ausweg beworben werden? Oft scheint es mir darum zu gehen, die mehr oder minder anonymen Eizellspenderinnen als Mütter auszuschließen. Während umgekehrt viele Lesben ihren Kindern die Väter vorenthalten. Klar, das kann auch nach einer Scheidung passieren. Es aber von vornherein zu planen und es dem Kind als Bedingung seiner Existenz aufzuerlegen, das ist etwas ganz anderes.

Wie könnte der Einsatz für eine gesellschaftliche Anerkennung der biologischen Homosexualität jenseits des Konstrukts „Homosexualität“ aussehen?

Lombard: Ich plädiere für die klassische Trennung von privat und öffentlich, für mehr Diskretion im Umgang mit diesen Fragen. Etwas Besseres wurde meines Erachtens noch nicht erfunden. Das heißt ja nicht, daß sich Homosexuelle verstecken müßten. Es heißt nur, daß auch sie wieder mehr Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse und die Identität der anderen. Mir scheint, daß eine Spirale in Gang gesetzt wurde, die im Augenblick nicht zur Ruhe kommt: Je mehr Gleichheit erreicht wird, desto größer wird das Gefühl der verbleibenden Ungleichheit. Dieses Problem wird die Gesellschaft niemals lösen können, wenn die Homosexuellen nicht dabei mithelfen, einen neuen Ruhepunkt zu finden, einen gesunden Interessenausgleich.

Aber muß man nicht zugeben, daß der rabiate Kampf der Homosexuellen-Lobby in wenigen Jahrzehnten viel mehr erreicht hat als der von Ihnen bevorzugte „klassische“ Weg seit dem 19. Jahrhundert?

Lombard: Ich bezweifle, daß es den Homosexuellen ausschließlich gutgetan hat. Darüber hinaus sind Gesellschaften komplexe Systeme. Da gibt es keinen Gewinn ohne Verlust. Als gesellschaftliche Leitidee führt die Gleichheit zu einer Ablehnung der traditionellen Familie, denn die Familie lebt nicht nur vom Unterschied, sie reproduziert ihn auch, den Unterschied zwischen Mann und Frau, Eigenem und Fremdem, Jung und Alt, Klein und Groß. Für die Anhänger der Gleichheit ist die Familie das ewige Skandalon, weil sie beweist, daß das Leben vom Unterschied lebt und nicht von der Gleichheit. Eine Gesellschaft, die die Unterschiede nicht mehr aushält, die die Spannung nicht erträgt, hat keine Zukunft. Der zunehmende Terror, den wir erleben, ist unter anderem eine Reaktion auf unseren Spannungsverlust, auch Dekadenz genannt. 

Sie beschreiben das Konstrukt Homo­sexualität als autoritär. Wie gefährlich ist es für eine „freie Gesellschaft“? 

Lombard: Der „Antidiskriminierungskampf“ nimmt totalitäre Züge an. In einer multikulturellen Gesellschaft, die nicht im Bürgerkrieg versinken will, muß das wahrscheinlich so sein. „Multikulti“ führt am Ende zu einer Art Gesinnungsdiktatur, damit die extrem verschiedenen Leute sich nicht massenhaft die Köpfe einschlagen. Alles und jeden nicht nur tolerieren, sondern anerkennen und wertschätzen zu sollen – das überfordert die Menschen. Unter solchen Bedingungen kann das Ressentiment zur Notwehr werden. Zu den Menschenrechten gehört auch ein Recht auf Abneigung – solange ich mit diesem Gefühl zivilisiert und rücksichtsvoll umgehe, das heißt diskret. Aber nicht einmal das soll es noch geben dürfen. Noch etwas kommt hinzu. Der Vorwurf der Homophobie wird praktisch nur gegen christlich geprägte Heterosexuelle erhoben, obwohl die mörderische Gefahr ganz offenkundig vom radikalen Islam ausgeht. Multikulti bedeutet praktisch, den Kampf gegen die Homophobie dem Kampf gegen die Islamophobie unterzuordnen. Schwule und Lesben sollten es als ein Alarmzeichen erster Güte betrachten, daß die Homosexuellenfeindlichkeit des Islam besonders nach dem Attentat von Orlando der öffentlichen Kritik entzogen wurde. Leider machen die Homosexuellenverbände dabei sogar mit, wie der Rauswurf von David Berger beim Magazin Männer gezeigt hat. Aber die Wahrheit ist: Nicht der meist falsch verstandene „Rechtskatholizismus“ beschert uns den von der „Homo-Lobby“ gefürchteten reaktionären „Rollback“, sondern die muslimische Massenzuwanderung. Die ist so stark und teilweise auch gewaltbereit, daß sich der Antidiskriminierungskampf lieber einen schwachen Gegner vorknöpft. Weil die Homosexuellenfeindlichkeit der Muslime nicht gegen sie sprechen darf, befeuert sie am Ende unseren Selbsthaß. Die größte Bedrohung für Homosexuelle seit 1945 wird so lange zerredet und verallgemeinert, bis völlig harmlose Leute als „Homohasser“ dastehen, aber nicht der Massenmörder von Orlando.

Wie geht das aus?

Lombard: Nun, die Gleichheitsidee ist ein starkes Movens der Massendemokratie, und das wird sie auch noch eine Weile bleiben. Die Unterschiede verschwinden dabei aber nicht. Sie verschwinden nur aus der Gesellschaft und kehren als Spannungen im Individuum wieder. Wenn ich keinen Außenhalt mehr habe, kein Oben und Unten, kein Gut und Böse, wenn ich alles darf und alles dieselbe Wertigkeit hat, muß irgendwann jeder einzelne alle Kämpfe in sich selber austragen. Diese Konjunktur seelischer Spannungen und Probleme wird völlig unterschätzt, obwohl sie offensichtlich zu immer größeren Problemen führt, die sich in Depression, Sucht und Gewalt äußern. 






Andreas Lombard, der Publizist und Verleger machte mit Essays wie „Holocaust und deutsche Frage. Ein Volk will verschwinden“ und „Mein jüdisches Viertel, meine deutsche Angst“ auf sich aufmerksam. Im Herbst erschien sein Buch „Homosexualität gibt es nicht. Abschied von einem leeren Versprechen“. Geboren 1963 in Hamburg, war er zehn Jahre Mitarbeiter der Berliner Zeitung und schrieb für Deutschlandradio Kultur.

 

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