© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Statistische Unwägbarkeiten bei der Inflationsberechnung
Trügerisches Gefühl
Dirk Meyer

Die offizielle Inflationsrate liegt nahe null Prozent – zu niedrig, sagt die Europäische Zentralbank, die einen Wert von zwei Prozent anstrebt. Die von den Bürgern „gefühlte Inflation“ fällt im Regelfall erheblich höher aus. Wie kommt es dazu?

Das Statistische Bundesamt erhebt monatlich die Preisänderungsrate eines Durchschnittshaushaltes (2,4 Personen). Die Daten basieren auf einer Befragung von 55.000 Haushalten, die Einnahmen und Ausgaben über drei Monate aufzeichnen. In dem rotierenden Verfahren werden 750 Güter erfaßt. Zusätzlich erhebt das Amt in 40.000 Geschäften und bei Dienstleistern 350.000 Einzelpreise. In dem repräsentativen Warenkorb sind Nahrungsmittel (10,3 Prozent), Wohnung (31,7 Prozent) und Verkehr (13,5 Prozent) die größten Posten; Bildung (0,9 Prozent) hat den geringsten Anteil. Dabei können einzelne Preise sinken, während andere steigen. So sind die Mieten innerhalb eines Jahres um 1,1 Prozent gestiegen, während Heizöl um 23 Prozent billiger war.

Damit gibt es bereits drei Gründe, warum eine höhere Inflation spürbar ist: Die Miete wird monatlich fällig, die Heizkostenrückzahlung fällt nur einmal pro Jahr an. Deshalb ist die gestiegene Miete präsenter. Haben wir im letzten Monat gar eine Miet­erhöhung erhalten, so ist uns der offiziell gemeldete Anstieg von 1,1 Prozent völlig unerklärlich. Gehören wir zu den Haushalten mit geringem Einkommen, hat die Miete unseres persönlichen Warenkorbes im Regelfall zudem einen höheren Anteil an unseren Verausgabungen – wieder fühlen wir uns „geldentwerteter“ als es uns die Statistik weißmachen will.

Die Ausgabenanteile – das Wägungsschema – wandelt sich: So wird statt der teuren Schuhreparatur gleich ein neues Paar Schuhe gekauft. Außerdem ändert sich unser Bedarf: statt Zeitungslektüre morgendliche Internetpresse. Daher wird das Wägungsschema alle fünf Jahre angepaßt. Die letzte Aktualisierung erfolgte 2013 und verwendet die – nicht mehr ganz aktuellen – Anteile von 2010. Auch deshalb kann die gefühlte Inflation abweichen. Das größte Problem stellen jedoch Qualitätsverbesserungen und neue Produkte dar. Auch heutige Neuwagen sind kaum vergleichbar mit dem Modell von vor zehn Jahren; noch gravierender ist der Unterschied bei Handys. Wie lassen sich aber reine Preissteigerungen von Qualitätsänderungen trennen? Relativ einfach ist es, wenn das technisch veraltete Modell weiter auf dem Markt ist. Ebenso könnte die Klimaautomatik herausgerechnet werden. Der Hybridantrieb ließe sich durch den geldwerten Vorteil geringerer Energieverbrauchskosten berücksichtigen. Durch die Einrechnung des Qualitätseffektes ist die Inflation 2005 bis 2010 von im Mittel 1,6 Prozent allerdings nur um 0,1 Prozent gestiegen – gefühlt etwas zuwenig?






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.